Die Schmetterlingsinsel
verkündete Claudia beim Abendessen. »Jetzt, wo Victoria wieder genesen und einigermaßen bei Kräften ist, können wir es wohl wagen.«
»Das sehe ich genauso«, pflichtete Henry ihr bei, während er sich mit einer Serviette den Mund abtupfte. »Oder was meinst du, Victoria?«
Die Augen des Mädchens, unter denen noch immer Schatten der Krankheit standen, leuchteten auf.
»Oh, das wäre wunderbar! Dann kann ich der Tochter endlich von meiner Krankheit berichten und sie sogar übertrumpfen, denn die Malaria hatte sie noch nicht!«
»Es wird besser sein, wenn du gegenüber den Stocktons von deiner Krankheit schweigst«, wandte ihre Mutter ein. »Nicht, dass sie glauben, du wärst noch immer ansteckend. Da die Tochter ohnehin eine schwache Gesundheit hat, wollen wir nicht, dass sich ihre Mutter sorgen muss.«
»Aber Dr. Desmond hat doch gesagt, dass die Malaria sich nicht von Mensch zu Mensch überträgt.«
»Da wäre ich mir an deiner Stelle nicht so sicher, junge Lady«, entgegnete ihr Vater. »Die Wissenschaft ist stets in Bewegung, wer weiß, wie die neuesten Erkenntnisse von nächster Woche sind. Vielleicht stellt sich ja heraus, dass die Malaria doch ansteckend ist, und dann bringen wir unsere netten Nachbarn in Schwierigkeiten.«
Henry lachte kurz auf und wischte sich dann schwungvoll mit der Serviette über die Lippen. Claudia tätschelte ihm den Arm, Victoria schob schmollend die Unterlippe vor.
Grace blieb die ganze Zeit über still. Allein schon der Gedanke, einen ganzen Nachmittag in Gesellschaft des langweiligen George verbringen zu müssen, verursachte ihr Unbehagen. Und dann die Blicke des Vaters! Ihre Eltern mussten blind sein, wenn sie es nicht bemerkt hatten.
Insgeheim wünschte sie sich nun, sie hätte sich an der Malaria angesteckt. Ein paar Angestellte hatten sie bekommen, doch dank der Tamilen-Heilerin war niemand ernsthaft zu Schaden gekommen oder gar gestorben.
»Was ist mit dir, Liebes?«, wandte sich Henry an Grace. »Du bist ja so schweigsam. Freust du dich nicht darauf, einen kleinen Ausflug zu machen?«
»Doch, natürlich.«
»Du siehst aber aus, als hätte man dich gezwungen, eine ganze Kiste Zitronen zu essen.«
»Mir geht es nicht gut. Mein Unwohlsein ist wieder da.« Die beste Ausrede, die sie finden konnte und von der sie wusste, dass ihr Vater sie nicht weiter verfolgen würde.
»Oh, dann hoffen wir mal, dass es dir in ein paar Tagen wieder bessergeht. Es wäre ein Jammer, wenn du nicht mitkommen würdest.«
Für Grace wäre dies kein Jammer gewesen, doch sie wusste, dass ihr nichts anderes übrigblieb. Lächelnd nickte sie und fragte dann: »Wann wollen wir denn genau fahren?«
»Kommenden Sonntag, gleich nach unserer Andacht. Wenn ihr wollt, können wir auch in die Kirche nach Nuwara Eliya.«
Keine schlechte Idee, dachte Grace, während sie hoffte, dass ihr Blick ihren Spott nicht verriet. Dann könnte ich gleich darum bitten, dass George Stockton so gar kein Interesse an mir hat.
Die Woche verging wie im Flug. Zusammen mit Grace und Victoria besserte Miss Giles die Kleider aus, die sie bei dem Besuch tragen sollten.
»Ich komme mir allmählich vor wie eine Zofe«, murrte sie in Augenblicken, in denen sie sich unbeobachtet und unbelauscht wähnte. Wäre diese Klage Claudia Tremayne zu Ohren gekommen, hätte sie die Gouvernante sicher gerügt, doch weder Victoria noch Grace hatten Interesse daran, sie zu verraten. Während Victoria daran arbeiten musste, den Unterrichtsstoff nachzuholen, den sie durch ihre Krankheit versäumt hatte, lenkte sich Grace mit Spaziergängen ab oder träumte während ihres lustlosen Annähens von Borten und Spitzen davon, wieder Unterricht bei Vikrama haben zu dürfen. Noch immer hatte er keine Zeit dazu gefunden, und sie befürchtete, dass sie all die mühsam erarbeiteten Schriftzeichen und Vokabeln wieder vergessen würde.
Am Sonntagnachmittag, nach dem Besuch der neu errichteten Kirche in Nuwara Eliya und einem kurzen Lunch, brachen sie auf. Der Weg durch das Buschland war von Lastfuhren ausgefahren und holprig. Hin und wieder stand ein Büffel im Weg, der sie auf Grashalmen kauend musterte, als könnte er sich nicht vorstellen, was Menschen und Pferde hier zu suchen hatten. Über ihnen turnten Papageien und kleine Affen in den Baumkronen, hin und wieder tauchte eines von den possierlichen braunen Tieren neben dem Wagen auf, wie ein Späher, der seiner Sippe mitteilen sollte, wer da die Ruhe des Waldes störte.
All die Eindrücke
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