Die Schmetterlingsinsel
sie fest, dass inzwischen auch George, Clara und Victoria wieder anwesend waren.
»Nun, wie war die Aussicht?«, fragte ihr Vater heiter, ohne zu bemerken, dass etwas nicht mit seiner Tochter stimmte.
»Wunderschön«, entgegnete Grace einsilbig und bemerkte, dass Mrs Stockton ihren Mann beinahe fragend ansah. Die Begierde auf Deans Gesicht war fort, aber es schien, als hätte sie eine Spur, ein Mal hinterlassen, das Alice deutlich sehen konnte. Für den restlichen Nachmittag brachte es Grace nicht mehr über sich, Mrs Stockton ins Gesicht zu sehen, obwohl nicht sie es gewesen war, die die Hand nach ihrem Mann ausgestreckt und zuvor zufällige Berührungen gesucht hatte.
Glücklicherweise hatte die Hölle schon eine Stunde später ein Ende und es ging zurück nach Vannattupp u cci . Während der gesamten Zeit brodelte es derart in Grace, dass sie nichts sagen konnte. Das Unwohlsein über den Spaziergang mit Stockton wurde vom Zorn über die angedachte Verlobung zwischen ihr und George überlagert.
Aber niemand bemerkte etwas, denn Victoria plapperte munter drauflos, was für Krankheiten sich Clara Stockton jetzt wieder einbildete. »Es fiel mir schwer, aber ich habe nichts über meine Malaria erzählt«, setzte sie hinzu, als sie den finsteren Blick ihres Vaters bemerkte.
Als die Kutsche endlich anhielt, verspürte Grace eine unbändige Wut in ihrer Magengrube. So wie Mrs Stockton getan hatte, war die Verlobung mit ihrem Sohn bereits beschlossene Sache! Wie konnte ihre Mutter sie nur dem erstbesten Mann an die Hand geben wollen. Nur, weil ihre Plantagen nebeneinander lagen und die Stocktons ganz offensichtlich reicher waren als sie?
Was würde sie dazu sagen, dass Stockton offenbar auch ein Auge auf sie geworfen hatte … Wahrscheinlich würde sie glauben, ich denke mir das nur aus, dachte Grace enttäuscht.
In ihrem Zimmer riss sie sich wütend ihren Hut vom Kopf und schleuderte ihn in die Ecke neben dem Fenster. Dann griff sie sich ins Haar und zerrte ihre Locken auseinander. Victoria, die in kurzem Abstand folgte, zog rasch die Tür zu.
»Was ist los mit dir, hast du ein Insekt unter dem Hut?«
Grace antwortete nicht, sondern riss nun auch ihr Kleid auf. Dann wirbelte sie herum, die Augen leuchtend wie die einer Wahnsinnigen, so dass Victoria erschrocken zurückwich. »Müssen wir dich jetzt in die Irrenanstalt bringen?«
»Dahin solltest du am besten Mrs Stockton bringen!«, fauchte Grace. »Sie findet, ihr George und ich würden ein hervorragendes Paar abgeben! Und Mutter hat dem noch beigepflichtet! Als ob es in der Gegend nicht noch andere junge Männer gäbe.«
Sie brachte es nicht über sich, Victoria zu erzählen, wie Stockton beinahe schon aufdringlich ihre Nähe auf der Aussichtsplattform gesucht hatte.
»Die du genauso wenig heiraten wollen würdest, nicht wahr?«, gab Victoria altklug zurück, während sie mit bedächtigeren Handbewegungen ihren Hut löste.
»Natürlich würde ich einen von ihnen heiraten wollen. Einen, der nicht aussieht wie George Stockton! Wie kommt Mutter nur dazu, überhaupt in Erwägung zu ziehen, mich mit diesem blassen Burschen zu verheiraten? Stell dir vor, was sein liebstes Hobby ist: tote Tiere auszustopfen! Bei unserem Spaziergang hat er mir haarklein erzählt, wie er die Eingeweide mit einem Haken herauszieht. Ich sage dir, dieser Bursche ist nicht normal!«
Victorias Augen funkelten vor dunklem Vergnügen. Neugierig, wie sie war, hätte sie sich die Präparate wohl gern mit eigenen Augen angesehen. »Vielleicht solltest du Mutter davon erzählen.«
»Die würde mir wahrscheinlich gar nicht zuhören, so entzückt klang sie bei dem Vorschlag von Mrs Stockton. Dabei sind wir doch erst seit zwei Monaten hier!«
»Wären wir in London geblieben, hättest du wahrscheinlich auch schon deine Verehrer.«
»Aber keinen, der Tiere schlachtet und mit Holzwolle ausstopft.«
»Du weißt, dass Mutter glaubt, ein Mädchen soll so früh wie möglich heiraten«, fuhr Victoria unbeeindruckt fort. »Sie selbst war auch gerade achtzehn, als sie Papa kennengelernt hatte.«
Beinahe hätte sie herausgeplatzt, dass dies auch ihr Vater gewesen sei, der keine blutrünstigen Hobbys hatte und froh war, aufgrund seines fehlenden Adelstitels keine Fuchsjagden veranstalten zu müssen, doch dann fiel ihr wieder ein, dass sich ihr Empfinden gegenüber ihrem alten Herrn seit der Bestrafung für ihr Eintreten verändert hatte. Sie liebte ihn, ja, aber diese Liebe wirkte wie in einen
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