Die Schmetterlingsinsel
ebenfalls nach dem ehemaligen Verwalter – doch bisher waren ihre Anstrengungen nicht von Erfolg gekrönt gewesen. Dementsprechend wütend brachte er sein Pferd zum Stehen und lief dann die Treppe hinauf. Cahill, der in der Halle wartete, würdigte er keines Blickes, ja wahrscheinlich bemerkte er ihn gar nicht in seinem Zorn.
»Erschießen hätte man ihn sollen, wie einen Hund!«, wetterte Stockton wenig später im Salon der Tremaynes, fast so, als sei er der Vater von Miss Grace.
Nun ja, dachte sich Cahill, er wäre ihr Schwiegervater geworden, wenn Vikrama sie nicht geschwängert hätte. Wieder rührte sich das dunkle Wissen in seinem Innern. Irgendwann einmal musste es Mr Tremayne erfahren. Doch nicht jetzt.
Cahill wusste, dass es besser wäre, kehrtzumachen und nach draußen zu gehen, doch da bemerkte er eine Gestalt an der Treppe. Miss Grace! Er zog sich weiter in den Schatten zurück und versteckte sich hinter dem Flügel einer offenstehenden Tür.
Die junge Frau bemerkte ihn nicht, zu sehr war sie in ihre Gedanken versunken.
»Es gibt vielleicht eine Lösung«, bemerkte Stockton nun, als er sich wieder ein wenig beruhigt hatte.
»Und welche?«, fragte Henry, während seine Frau immer noch blind vor Tränen wimmerte.
»Es gibt in den Dörfern Frauen, die sich darauf verstehen, eine Frau von ihrem Balg zu befreien.«
Seine Worte fielen auf die Tremaynes nieder wie zersplitterndes Glas.
»Sie meinen, sie soll zu einer Engelmacherin gehen?«
»Nicht gehen, aber Sie könnten so eine Person herholen. Hier im Haus, verborgen von den Blicken der anderen könnte sie den vorherigen Zustand wieder herstellen.«
»Aber das ist Sünde!«, fuhr Tremayne ihn an.
»Sünde war es auch, was Ihre Tochter und dieser Bastard getan haben!«, schmetterte ihm Stockton zornig entgegen. »Sie wollen doch nicht Ihr Gesicht vor den anderen verlieren! Ich würde sie auch weiterhin als Braut für meinen Sohn nehmen, wenn sie nicht mehr schwanger ist.«
Cahill biss sich auf die Lippen, während Grace an ihm vorüberging, aufrecht und mit erhobenem Kopf, wie eine Königin. Die Forderung Stocktons hatte sie deutlich vernommen. An der Tür machte sie halt, zögerte einen Moment, dann trat sie ein. Und bevor der Plantagen-Nachbar weitere Drohungen ausstoßen konnte, sagte sie ruhig und gefasst: »Ich werde das Kind behalten, Mr Stockton. Sie werden mich nicht dazu bringen, mich gegen das Leben zu versündigen.«
Stille folgte ihren Worten. Zu gern hätte Cahill gewusst, wie die Anwesenden dreinblickten. Nicht einmal Mrs Tremayne schluchzte mehr. Wahrscheinlich waren alle starr vor Schreck.
»Vater, Mutter, um euch vor der Schande hier zu bewahren, habe ich beschlossen, nach England zu gehen und dort mein Kind zu bekommen.«
Wieder antwortete niemand.
»Den Balg eines Wilden?«, erboste sich schließlich Stockton. »Miss Tremayne, kommen Sie doch zur Vernunft! Sie könnten Ihre Sorgen mit einem Schlag los sein.«
»Ein Mord also? Wofür denn? Dafür, dass Sie mir, wie Sie es nannten, einen Erben machen wollen? Oder haben Sie es sich seit unserem Zusammenstoß anders überlegt?«
»Das ist …«
»Eine Lüge, ja? So wollen Sie es darstellen, Mr Stockton?« Eine kurze Pause entstand, dann fuhr Grace fort. »Du hast meine Aufzeichnungen doch gelesen, Vater! Du warst so erpicht darauf, den Schuldigen zu suchen, doch es ist nicht Vikrama! Dieser Mann dort hat Schuld auf sich geladen, also lies noch einmal genauer!«
Stocktons Schnaufen drang bis nach draußen. »Sie werden doch wohl nicht diesem Mädchen …«
»Schweigen Sie, Mr Stockton! Dies ist mein Haus, hier bestimme ich. Und ich würde Ihnen jetzt wirklich raten, zu gehen, ehe ich mich noch vergesse!«
»Das werden Sie noch bereuen, Tremayne!«, fauchte Stockton daraufhin. »Ich werde dafür sorgen, dass ganz Ceylon erfährt, was für eine Person Ihre Tochter ist!«
Damit stürmte er nach draußen, mit raumgreifenden Schritten und schnaufend vor Wut. In der Halle murmelte er irgendwas Unverständliches, dann fiel eine Tür heftig ins Schloss.
Danach wurde wieder alles still.
»Vater?«, wisperte Grace leise.
»Du wirst nach England reisen, so bald wie möglich«, beschied Tremayne mit zitternder Stimme. »Dort wirst du das Kind bekommen, und wir werden es in eine Familie geben, die es aufnimmt.«
»Nein, Vater, ich …«
»Keine Widerrede!«, grollte Tremayne. »Und jetzt geh auf dein Zimmer und lass dich besser nicht mehr sehen.«
Grace sagte dazu nichts.
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