Die Schmetterlingsinsel
Es wurde etwas von einem Heft gemunkelt, das bei ihrer Schwester Victoria gefunden worden war. Offenbar hatte sie in ihrer jugendlichen Neugier die Eskapaden ihrer Schwester, die sie in einer Art Tagebuch festgehalten hatte, nachgelesen und war dabei von Miss Giles erwischt worden.
Die Reaktion Henry Tremaynes war drastisch. Er schickte Petersen und seine Kameraden aus, um Vikrama zu suchen und ihn abzustrafen.
Dabei hatte er eigentlich nicht vorgehabt, seine Tochter zusehen zu lassen, doch das Mädchen erfuhr es und lief aus ihrem Zimmer, nachdem Tremayne seine Anweisungen gegeben hatte.
Das Klagen des Mädchens, als sie den Burschen anschleppten, würde Cahill nie vergessen.
»Bitte lasst ihn gehen!«, flehte sie weinend, während sie sich in den Armen der Männer, die sie festhielten, wand.
»Einen Teufel werden wir tun, Missi!«, tönte Petersen höhnisch. »Ihr Vater hat uns angewiesen, ihm eine Lektion zu erteilen, und die bekommt er nun! Schleppt ihn zu dem Baum da, damit ich ihm die Haut abziehen kann!«
»Nein!«, gellte Grace, so schrill, dass Cahill sich am liebsten die Ohren zugehalten hätte. »Wehr dich!«, schrie sie ihm schließlich gepeinigt zu. »Wehr dich doch. Lass nicht zu, dass sie dich töten! Denk an unser Kind!«
Dieser Ruf brachte ihn dazu, sich gegen die Männer, die ihn hielten, zu stemmen. Er blickte über die Schulter und tauschte einen Blick mit Grace, einen Blick, der ihnen sagte, dass alles, was jetzt geschah, sie auf immer entzweien würde.
Dann explodierte Vikrama regelrecht. Mit Bewegungen, wie Cahill sie nie zuvor gesehen hatte, löste er sich aus dem Griff seiner Häscher und schlug auf sie ein. Ehe sie sich versahen, bluteten zwei aus der Nase, ein dritter taumelte zurück. Petersen entrollte blitzschnell seine Peitsche, doch nur einen Schlag konnte er anbringen und den auch nur halb, denn Vikrama trieb ihn mit schnellen Hieben gegen seinen Körper zurück.
»Verdammt noch mal, hat denn keiner eine Waffe bei sich?«, brüllte der Vormann, doch da rannte Vikrama auch schon los und tauchte, nachdem er sich noch einmal nach seiner Liebsten umgesehen hatte, in die Dunkelheit ein.
Die Männer, die Grace solange festgehalten hatten, ließen sie los und stürmten ihm hinterher, verschwanden wenig später ebenfalls im Gebüsch. Das Mädchen sank auf die Stufen der Treppe. Beinahe beschwörend blickte sie in die Dunkelheit, wahrscheinlich hoffte sie inständig, dass er es schaffen würde.
Als Mr Tremayne schließlich nach draußen kam, hatten sich die Geschlagenen gerade wieder aufgerappelt. Petersen berichtete mit anschwellenden Lippen von Vikramas Flucht. Als er dazusetzte, dass er um sich geschlagen hätte, als wäre er besessen, meldete sich Grace mit einem seltsamen Lächeln zu Wort. »Das war nicht der Teufel, das war Kalarippayat, Sie Idiot.«
Cahill hielt das für den Namen eines Dämons, Henry Tremayne war diese Bemerkung vollkommen egal. Grob zog er Grace in die Höhe.
»Was hast du hier zu suchen? Ich hatte dir doch Hausarrest gegeben.«
Das Mädchen schwankte, als stünde es kurz vor einer Ohnmacht, was bei ihrem Zustand nicht verwunderlich gewesen wäre. Doch sie blieb stehen und sah ihrem Vater mit einem Ausdruck ins Gesicht, der ein zartbesaitetes Wesen zu Tränen gerührt hätte.
»Sie werden ihn nicht kriegen, Vater, sie werden ihn nicht kriegen, dafür werden seine Götter sorgen.«
Henry funkelte sie einen Moment lang an, als wollte er ihr ins Gesicht schlagen, dann zerrte er sie wieder ins Haus.
Cahill, den niemand so recht bemerkt hatte in den vergangenen Augenblicken, lehnte sich gegen das Treppengeländer.
Was für eine Nacht! Was für eine Aufregung. Alles nur, weil er geschwiegen hatte. Weil er nichts unternommen hatte, als sich das Unheil bereits abzuzeichnen begann!
Ich hätte Master Henry das Geheimnis seines Bruders gleich verraten sollen. Die Auswirkungen wären schlimm gewesen, aber vielleicht nicht ganz so verheerend und ausweglos wie die jetzige Situation!
Erschöpft zog er sein Taschentuch aus dem Ärmel und tupfte sich über die Stirn. Das Gespräch mit Mr Tremayne konnte er in den Wind schreiben. Angesichts der Ereignisse würde er morgen wiederkommen.
Am nächsten Abend preschte Dean Stockton auf den Hof. Inzwischen war die Suche nach Vikrama auf beide Plantagen ausgeweitet worden, und nachdem er gehört hatte, was geschehen und was der Auslöser dazu gewesen war, hatte auch er seine Hilfe angeboten. Seine Leute suchten jetzt
Weitere Kostenlose Bücher