Die Schmetterlingsinsel
Rechnungen und Werbung, eine Ansichtskarte und ein Reiseangebot nach Indien. Diana ließ alles unbesehen in den Papierkorb wandern.
Froh darüber, nie eine Vorliebe für Nippes entwickelt zu haben, begann sie, zwei große Kisten, die sie sich aus irgendeinem Grund aufbewahrt hatte, mit Heftern, Büchern und Schreibutensilien zu füllen. Die Rechnungen packte sie ebenfalls ein, Philipp sollte sich nicht darüber beschweren, dass er irgendwas für sie bezahlen musste.
Zuletzt setzte sie sich an den Schreibtisch und verfasste einen Brief an Philipp, in dem sie ihm erklärte, dass es Zeit sei, eigene Wege zu gehen. Für sie und für ihn. Von ihrer Familiengeschichte erzählte sie ihm nichts, führte aber die aufgedeckten Geheimnisse als Grund für ihren Neuanfang an. Nachdem sie ihm noch viel Glück für sein weiteres Leben gewünscht hatte, schloss sie mit ihrer Unterschrift und schob den Brief in einen Umschlag, den sie in sein Arbeitszimmer legte.
Das Telefon klingelte in dem Augenblick, als sie die erste Kiste die Treppe hinunterschleppte.
Zunächst wollte sie es ignorieren, doch als es mit Nachdruck weiterklingelte, ging sie ran. Als sie Mr Green hörte, wusste sie, dass sie das Richtige getan hatte.
»Ich hoffe, Sie sind gut in Deutschland gelandet, Miss Diana.«
»Vielen Dank, Mr Green, sehr gut sogar. Wenn wir uns wiedersehen, habe ich Ihnen eine ganze Menge zu erzählen – und Sie haben mir etwas zu erklären.«
Auch wenn sie ihn nicht sehen konnte, wusste sie, dass er jetzt lächelte.
»Meine Tante hat Sie eingeweiht, stimmt’s? Sie haben all die Hinweise so platziert, dass ich sie finde.«
»Wie sind Sie mir auf die Schliche gekommen?«
»Sie haben mir während meines Aufenthaltes im Hills Club Hotel ein Bild gemailt, das niemand aus meiner Familie kannte, es war immer ein großes Rätsel, wo sich das Grab von Grace befand. Irgendwer muss es Emmely zugespielt haben – oder meine Großmutter hatte es in ihrer Tasche. Meine Mutter wusste nichts von dem Friedhof, auf dem Grace bestattet wurde, und Emmely hatte diesen Hinweis sicher gut verwahrt. Also hatte sie Sie eingeweiht.«
Schweigen. Sicher lächelte er noch immer.
»Ich muss schon sagen, der Brief unter dem Sarkophag war richtig gut platziert. Dennoch hatte ich Sie seitdem in Verdacht. Niemand lässt so einen Brief in einer Gruft liegen.«
»Ich gratuliere Ihnen, Miss Diana! Sie würden Sherlock Holmes alle Ehre machen.«
Diana lächelte, als ihr wieder einfiel, dass Jonathan sie einst so genannt hatte. Was er jetzt wohl machte? Ob er an sie dachte, sich nach ihr sehnte?
»Ich habe aber nicht nur angerufen, um mich nach Ihrem Befinden zu erkundigen. Hier ist soeben ein Gentleman angekommen, der Sie sprechen möchte. Ich habe ihm gesagt, dass Sie nicht da sind, aber er hat darauf bestanden, dass ich Sie anrufe, weil er Ihnen etwas Wichtiges zu sagen hat.«
Eine Ahnung erfasste Diana und ließ ihr Innerstes erzittern. »Vielen Dank, Mr Green. Geben Sie ihn mir bitte.«
Als sie Jonathans Stimme hörte, wurde ihr heiß und kalt zugleich. Was suchte er in England? Eigentlich wollte er doch sein Buch zu Ende schreiben!
»Ich muss schon sagen, dass dies ein prachtvolles Anwesen ist. Nach ein paar Renovierungen könnte man hier gut leben, schätze ich. Was meinst du dazu?«
Diana glaubte für einen kurzen Augenblick keine Luft zu bekommen. »Ich habe tatsächlich vor, für eine Weile nach England zu gehen. Das Büro hier läuft, und ich habe keine Lust, mich noch weiter mit Philipp auseinanderzusetzen. Er bekommt dieses Haus hier, und ich nehme Tremayne House.«
»Dann ist das mit der Scheidung also beschlossene Sache?«
»Für mich jedenfalls schon. Die entsprechenden Papiere werde ich noch heute zu meinem Anwalt geben.« Das Unterhöschen auf dem Bett verschwieg sie ihm. »Anschließend werde ich mit meiner Kanzleipartnerin sprechen. Ich weiß noch nicht genau, ob ich meine Anteile verkaufe oder als stille Teilhaberin verbleibe. Auf jeden Fall werde ich mich für ein Studium in England bewerben.«
»Du willst neu anfangen.«
Diana blickte versonnen auf den dünnen weißen Faden an ihrem Handgelenk, den sie als Glücksbringer auf der tamilischen Hochzeitsfeier erhalten hatte. Er hatte sämtlichen Beanspruchungen und Duschen getrotzt und schmiegte sich fest an ihre Haut. »Während der Zeit in Sri Lanka hatte ich das Gefühl, nicht nur auf der Suche nach unserem Familiengeheimnis, sondern auch nach mit selbst zu sein. Ich glaube,
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