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Die Schnapsstadt

Die Schnapsstadt

Titel: Die Schnapsstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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ich habe selbst einen Sohn, und ich verstehe deine Gefühle, und deshalb lasse ich dich laufen. Voll Dankbarkeit verneigte sich Ding Gou'er vor ihm und sagte: Bruder, ich werde dir das nie vergessen, selbst dann noch nicht, wenn ich vor den neun Quellen der Unterwelt stehe.
    Eilig machte sich der Ermittler auf den Weg. Er kam an einem großen Einfahrtstor vorbei und sah in einen Hof, in dem eine Luxuslimousine neben der anderen geparkt war. Ein paar elegant gekleidete Männer stiegen ein. Er befürchtete Ärger und bog in eine enge Gasse ein, wo er ein kleines Mädchen sah, das Schuhe reparierte. Ihr Gesicht war ausdruckslos, als sei sie tief in Gedanken versunken. Als er so dastand, sprang eine stark geschminkte Frau unter dem bunten Plastikschild über der Tür eines Restaurants hervor und versperrte ihm den Weg. Treten Sie ein, mein Herr, und essen Sie ein Häppchen und trinken ein Schlückchen. Zwanzig Prozent Rabatt auf alles. Sie schmiegte sich an ihn, und ihr Gesicht strahlte eine Leidenschaft aus, wie man sie nur selten zu Gesicht bekommt. Ich will nichts essen, sagte Ding Gou'er, und nichts trinken. Aber die junge Frau packte ihn am Arm und versuchte, ihn ins Lokal zu zerren. Du brauchst nichts zu essen oder zu trinken, sagte sie, setz dich bloß hin und ruh dich aus. Mit neu erwachtem Zorn stieß er sie in den Straßendreck. Bruder, kreischte sie, komm raus! Dieser Schuft hat mich geschlagen. Der erschreckte Ding Gou'er versuchte, in einem großen Satz über die Frau wegzuspringen, die immer noch am Boden lag. Aber sie schlang die Arme um seine Beine und ließ nicht los. Er fiel über sie, rappelte sich wieder auf und versetzte ihr einen kräftigen Fußtritt. Sie griff sich an den Bauch und wälzte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Boden. Der Ermittler blickte hoch und sah einen stämmigen Mann, der mit einer Schnapsflasche in der einen Hand und einem Metzgermesser in der anderen aus dem Restaurant stürzte. Das gibt Ärger, dachte er. Also drehte er sich um und entschwand mit der Kondition und Geschwindigkeit eines Hundertmeterläufers – wenigstens kam es ihm so vor: kein Herzklopfen, kein Luftschnappen. Als er sich schließlich umdrehte und zurücksah, stellte er fest, dass der Mann die Verfolgung aufgegeben hatte und an einen Betonpfeiler pisste. Jetzt machte sich Erschöpfung breit. Ding Gou'ers Herz schlug wie wahnsinnig, sein Körper war von kaltem, klebrigem Schweiß bedeckt, und seine Knie waren so weich, dass er glaubte, nicht einen Schritt mehr gehen zu können.
    Der vom Schicksal verfolgte Sonderermittler Ding Gou'er folgte seiner Nase bis zu einem Dreirad, neben dem sein Besitzer, ein junger Mann, Weizenpfannkuchen verkaufte, während eine alte Frau, vermutlich seine Mutter, das Geld der Kunden einkassierte. Er war so hungrig, dass er seinen Magen bis in die Kehle spüren konnte. Aber er war pleite. Ein grünes Militärmotorrad donnerte heran und kam mit quietschenden Bremsen neben dem Dreirad zum Stehen. Von panischer Angst gepackt, wollte der Ermittler schon wieder wegrennen, als er den Unteroffizier im Beiwagen sagen hörte: Heda, Chef, ein paar Pfannkuchen, bitte! Der Ermittler stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.
    Der Ermittler sah die zwei Soldaten an. Der Längere von beiden hatte große Augen und buschige Augenbrauen. Der Kürzere hatte ein feiner geschnittenes Gesicht. Sie standen vor dem Verkaufsstand und unterhielten sich mit dem jungen Mann, der die Pfannkuchen briet. Ein Wort gab das andere, nichts als ein bisschen Klatsch und Tratsch. Der junge Mann strich rote Sauce auf die dampfenden Pfannkuchen. Seine Kunden ließen sie von einer Hand in die andere gleiten. Sie aßen laut schmatzend und gierig und hatten in null Komma nichts jeder drei Pfannkuchen heruntergeschlungen. Der kürzere Soldat griff in die Manteltasche und zog eine Schnapsflasche heraus, die er seinem Kameraden reichte. Etwas zu trinken?, fragte er. Kichernd sagte sein langer Kamerad: Warum nicht? Ding Gou'er sah zu, wie der Soldat den Hals der praktischen kleinen Taschenflasche in den Mund steckte und einen kräftigen Schluck nahm. Dann atmete er hörbar ein und schmatzte mit den Lippen. Guter Stoff, sagte er, großartiger Stoff. Sein kurzer Kamerad nahm die Flasche, warf den Kopf in den Nacken und trank. Genüsslich schloss er die Augen. Er atmete tief durch und sagte: Verdammt guter Stoff. Das ist besser als ein normaler Fusel. Der lange Soldat ging zum Motorrad und holte zwei dicke Lauchzwiebeln

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