Die Schnapsstadt
neigen. Die Fackeln brannten heller denn je zuvor. Die Hände, die sie hielten, wirkten immer bedrohlicher, als lebten sie tatsächlich. Wie ein Schwarm goldener Fliegen schwirrten beunruhigende Gedanken durch seinen Kopf. Instinktiv klammerte er seine Aktentasche fester unter den Arm, bis der kühle, harte Stahl der Waffe an seinen Rippen lag, was ihn ein wenig beruhigte. Er würde nicht mehr als zwei Sekunden brauchen, um den schwarzen Lauf auf die beiden Männer zu richten, selbst wenn das der direkte Weg in die Hölle oder ins Grab sein sollte.
Inzwischen war ihm klar, dass sie sich tief unter der Erde befanden. Auch wenn die Fackeln und der rote Teppich so hell und bunt waren wie zuvor, war ihm kühl. Genau gesagt war es nicht kühl, sondern kalt.
Ein junges Mädchen mit leuchtenden Augen und funkelnden Zähnen in scharlachroter Uniform mit Schiffchenmütze erwartete sie am Ende des Ganges. Ihr sorgfältig einstudiertes einladendes Lächeln und der schwere Duft ihres Haars beruhigten Ding Gou'ers Nerven, wie seine Gastgeber es geplant hatten. Er musste einen plötzlichen Drang unterdrücken, ihr Haar zu küssen. Also veranstaltete er eine innerliche stumme Sitzung der Selbstkritik zum Zweck der Selbstrechtfertigung. Das Mädchen griff nach einem Türknopf aus blank poliertem Stahl und öffnete die Tür. Endlich lockerte sich die Dreiecksformation. Ding Gou'er atmete erleichtert auf.
Vor ihnen lag ein luxuriöser Speisesaal. Die sanften Farben und die gedämpfte Beleuchtung hätten eine Stimmung von Liebe und Glück erzeugt, wenn da nicht schwache Schwaden eines höchst seltsamen Geruchs gewesen wären. Ding Gou'ers Augen wurden heller, als er sich der Ausstattung des Saals zuwandte: cremefarbene Sofas, beigefarbene Vorhänge, eine fleckenlos weiße Zimmerdecke mit Blumenmuster, ebenso fleckenlos weiße Tischdecken. Für erlesen elegante Beleuchtung sorgten Lampen, die einer zarten Perlenkette glichen. Der Fußboden war offenbar erst kürzlich poliert worden und glänzte wie ein Spiegel. Während der Ermittler den Speisesaal kritisch überprüfte, überprüften der Parteisekretär und der Bergwerksdirektor ihn, ohne zu ahnen, dass er versuchte, die Quelle jenes seltsamen Geruchs auszumachen.
Der runde Tisch trug einen dreistufigen Aufsatz. Auf der untersten Ebene standen breite Biergläser, langstielige Weingläser, Gläser mit noch längeren Stielen, in denen ein farbloser Likör schimmerte, Teetassen mit Steingutdeckeln, Essstäbchen aus imitiertem Elfenbein in ihren Hüllen, weiße Porzellanteller in verschiedenen Größen, Vorlegebesteck aus Edelstahl, Zigaretten der Marke Zhonghua, Holzstreichhölzer mit leuchtend roten Köpfen in Spezialbehältern und Aschenbecher aus Pressglas mit Pfauenfedermuster. Die zweite Ebene nahmen acht Platten mit kalten Speisen ein: Rührei mit Reisnudeln und getrockneten Garnelen, scharf eingelegte Streifen von Rindfleisch, Blumenkohl in Currysauce, Gurkenscheiben, Entenfüße, kandierte Lotoswurzeln, Staudensellerie und frittierte Skorpione. Der welterfahrene Ding Gou'er zeigte sich wenig beeindruckt. Auf der dritten Ebene stand nur ein stachliger Kaktus in einem Blumentopf. Warum gibt es keine frischen Blumen?, fragte er sich.
Nach dem üblichen Austausch von Höflichkeitsformeln und Freudenbekundungen setzten sich endlich alle. Ding Gou'er hatte geglaubt, an einem runden Tisch brauche man nicht groß über die Sitzordnung nachdenken. Doch dieser Irrtum wurde aufgeklärt, als der Parteisekretär und der Bergwerksdirektor darauf bestanden, er müsse den Platz neben dem Fenster einnehmen, weil dies der Ehrenplatz sei. Er erklärte sich mit dieser Regelung einverstanden, und schon saß er wieder zwischen dem Parteisekretär und dem Bergwerksdirektor.
Wie eine Girlande von roten Fähnchen flatterte eine Schar von Kellnerinnen durch den Raum. Ein kühler Luftzug wehte von den jungen Mädchen an seinen Platz. Auch er trug jenen seltsamen Geruch mit sich, der sich über den ganzen Speisesaal verbreitete. Nur dass er sich diesmal mit dem Duft ihres Gesichtspuders und dem säuerlichen Schweißgeruch vermischte, der aus ihren Achselhöhlen und anderswoher drang. Je mehr sich der geheimnisvolle Duft mit anderen Gerüchen mischte, desto unauffälliger wurde er. Schließlich schenkte ihm Ding Gou'er keine Aufmerksamkeit mehr.
Unerwartet erschien vor Ding Gou'ers Augen eine Zange aus Edelstahl, die ein aprikosenfarbenes dampfend heißes Handtuch hielt. Er griff nach dem Handtuch,
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