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Die Schnapsstadt

Die Schnapsstadt

Titel: Die Schnapsstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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aber bevor er seine Hände abwischte, ließ er den Blick dem Schwung der Zange folgen. Über einer schneeweißen Hand glänzte ein Vollmondgesicht mit dunklen Augen, die hinter dem Schleier langer Wimpern leuchteten. Die Lidfalte des Mädchens wirkte, als seien ihre Augenwinkel von Narben verunstaltet, aber das war nicht der Fall. Nachdem er sie ausgiebig angesehen hatte, fuhr er sich mit dem Handtuch erst über das Gesicht, dann über die Hände. Das Handtuch war mit etwas parfümiert, das ein wenig nach faulen Äpfeln roch. Kaum hatte er das Reinigungsritual absolviert, als die Zange ihm das Handtuch aus den Händen riss.
    Was den Parteisekretär und den Bergwerksdirektor anging, so bot ihm der eine eine Zigarette an, und der andere gab ihm Feuer.
    Der starke klare Schnaps war echter Maotai, der Wein stammte vom Berg Tonghua, und das Bier kam aus Tsingtau. Entweder der Parteisekretär oder der Bergwerksdirektor – einer von beiden musste es gewesen sein – sagte:
    «Wir sind Patrioten und boykottieren importierte Getränke.»
    Ding Gou'er sagte:
    «Ich habe doch gesagt, dass ich keinen Alkohol trinke.»
    «Genosse Ding, altes Haus! Sie sind von weit her gekommen, um uns zu besuchen. Wie stehen wir da, wenn Sie jetzt nicht mit uns trinken? Dies ist ein einfaches informelles Mahl. Aber wie sollen wir die geschlossene Linie der Kader demonstrieren, wenn Sie nicht mit uns trinken wollen? Nur ein Schlückchen, um uns die Blamage zu ersparen!»
    Die beiden Männer streckten ihm ihre Schnapsschälchen entgegen. Die farblose Flüssigkeit, die sanft in den Schalen kreiste, verströmte einen verführerischen Duft. Seine Kehle begann zu jucken, und seine Speicheldrüsen spielten mit, überschütteten seine Zunge mit Speichel und befeuchteten seinen Gaumen. Er geriet ins Stottern.
    «Wie köstlich … viel zu gut für mich …»
    «Was heißt hier köstlich, Genosse Ding? Machen Sie sich etwa über uns lustig? Dies ist eine kleine Zeche mit wenig Geld, bietet geringen Luxus und verfügt nur über einen mittelmäßigen Koch. Und Sie, Genosse Ding, kommen aus der Großstadt, sind viel gereist und haben so ziemlich alles gesehen und getan, was es zu sehen und zu tun gibt. Ich kann mir vorstellen, dass es kein Getränk gibt, das Sie nicht gekostet haben, und kein Wildbret, von dem Sie nicht gegessen haben. Machen Sie uns bitte keine Schande», sagte der Parteisekretär – oder war es vielleicht der Bergwerksdirektor? «Bitte, seien Sie nicht allzu kritisch, wo es um unser bescheidenes Mahl geht. Gerade wir, die höheren Kader, müssen dem Aufruf der Parteileitung folgen, den Gürtel enger zu schnallen und irgendwie zurechtzukommen. Ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür und nehmen es uns nicht übel.»
    Ein Wortschwall ergoss sich über die Lippen der beiden Männer, die ihre Trinkschalen erhoben, um Ding Gou'er zuzutrinken, und ihm immer näher auf den Leib rückten. Widerwillig schluckte er einen Mund voll klebrigen Speichel hinunter, griff nach der Schale, die vor ihm stand, und streckte sie den beiden entgegen. Er konnte fühlen, wie schwer die Schale war und wie viel Flüssigkeit sie enthalten musste. Der Parteisekretär und der Bergwerksdirektor stießen mit Ding Gou'er an. Seine Hand zitterte ein wenig, und er verschüttete ein paar Tropfen Schnaps zwischen Daumen und Zeigefinger. Der Alkohol kühlte seine Haut auf angenehme Weise. Während er sich noch genussvoll auf die frische Kühlung konzentrierte, hörte er die Stimmen zu seiner Rechten wie zu seiner Linken: «Auf unseren Ehrengast! Auf unseren Ehrengast!»
    Der Parteisekretär und der Bergwerksdirektor leerten ihre Schälchen und drehten sie um, um zu zeigen, dass auch nicht ein Tropfen übrig geblieben war. Ding Gou'er wusste nur allzu gut, dass man zur Strafe drei Schälchen trinken musste, wenn man nicht ausgetrunken hatte. Zunächst trank er seine Schale zur Hälfte leer. Seine Mundhöhle füllte sich mit Ambrosiaduft. Die beiden Männer äußerten kein Wort der Kritik, sondern hielten ihm nur ihre leeren Schälchen vor die Augen. Ding Gou'er gab der unwiderstehlichen Macht des Gruppendrucks unter Gleichgestellten nach und leerte seine Schale.
    Schnell waren die drei leeren Schälchen wieder gefüllt. Ding Gou'er sagte:
    «Ich habe genug. Zu viel Alkohol schadet der Arbeitsleistung.»
    «Glückliche Ereignisse verlangen nach zwiefachen Schalen! Glückliche Ereignisse verlangen nach zwiefachen Schalen.»
    Ding Gou'er legte schnell die Hand über die

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