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Die Schnapsstadt

Die Schnapsstadt

Titel: Die Schnapsstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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aufrecht und setze deine Füße fest auf den Boden. Lass deine Augen nicht umherschweifen wie ein Bauernjunge, der zum ersten Mal in die Stadt kommt. Sonst könntest du nur gar zu leicht stürzen und dich zudem noch blamieren. Es gibt nichts Schlimmeres als einen Sturz. Es geht nicht nur darum, dass du deine Kleidung verschmutzen wirst. Du könntest dir auch ein Hüftgelenk brechen. Wie schon gesagt, nichts ist schlimmer als ein Sturz. Warum gönnen wir unseren Lesern nicht eine Pause und ruhen uns aus, bevor wir weiter unseres Weges ziehen?
    Hier bei uns in Jiuguo gibt es außerordentliche Persönlichkeiten, die trinken können, ohne sich zu betrinken, es gibt Alkoholiker, die ihrer Frau den letzten Spargroschen stehlen, um Schnaps zu kaufen, und es gibt üble Schlägertypen, die für den gleichen Zweck bereit sind, sich auf Diebstahl, Überfälle und jede nur denkbare Form von Betrug zu verlegen. Sie erinnern uns an die legendäre «Schlange im Gras» Li Vier, den der lüsterne Mönch zu Brei schlug, und den monströsen Schurken Niu Zwei, den das schwarzgesichtige Ungeheuer erstach. In der Eselsgasse treiben sich ständig Leute dieser Art herum. Sie sind gar nicht zu übersehen. Siehst du den Typ mit der Zigarette im Mund, der da drüben am Torpfosten lehnt, oder den da mit der Schnapsflasche in der Hand, der an einem Eselspimmel nagt (früher nannte man das «Geldfleisch», weil es wie altmodische Geldschnüre aussieht), oder den da mit dem Vogelkäfig in der Hand, der so harmlos vor sich hin pfeift? Das sind die Gestalten, die ich meine. Lieber Leser, lieber Freund, ich warne dich. Provoziere diese Typen nicht. Neue Schuhe treten nicht in Hundescheiße, und anständige Menschen reden nicht mit Pennern. Die Eselsgasse ist der Ruhm und die Schande von Jiuguo in einem. Wer nicht durch die Eselsgasse flanieren will, braucht gar nicht erst nach Jiuguo zu kommen. In dieser Straße haben vierundzwanzig Eselsmetzger ihre Läden. Schon seit der Ming-Zeit haben diese Ladenbesitzer sich durch die ganze Qing-Dynastie und die Jahre der Republik hindurch als Eselsmetzger durchs Leben geschlagen. Als die Kommunisten an die Macht kamen, wurden Esel als Produktionsmittel definiert, und es war ein Verbrechen, sie zu schlachten. Für die Eselsgasse brachen harte Zeiten an. Erst in jüngster Zeit hat die Politik der «Verjüngung nach innen und Öffnung nach außen» eine Verbesserung des Lebensstandards der Bevölkerung mit sich gebracht, und damit ist auch der Fleischverbrauch gestiegen, und die chinesische Rasse ist biologisch tüchtiger geworden. So ist die Eselsgasse wieder zum Leben erwacht. «Was Drachenfleisch für den Himmel, ist Eselsfleisch auf Erden.» Eselsfleisch ist aromatisch; Eselsfleisch ist wohlschmeckend; Eselsfleisch ist köstlich.
    Lieber Leser, verehrte Gäste, meine Freunde, meine Damen und Herren, thank you very much, Mister and Missis, die Behauptung, kantonesische Küche sei das Höchste, ist bloß ein Gerücht, das sich irgendjemand da unten im Süden ausgedacht hat, um die Massen in die Irre zu führen. Hört auf das, was ich euch zu sagen habe! Was ich worüber zu sagen habe? Über die Gerichte, auf die Jiuguo zu Recht stolz ist. Wenn ich auch nur einen Punkt anspreche, können darüber zehntausend andere in Vergessenheit geraten. Haben Sie also Geduld mit mir, liebe Freunde. Wenn Sie in der Eselsgasse stehen, werden sie Delikatessen erblicken, die man nur in Jiuguo findet, deren Fülle kein Auge fasst: In der Eselsgasse werden Esel geschlachtet, in der Hirschgasse schlachtet man Hirsche, in der Rinderstraße finden Rinder den Tod, in der Schafsgasse werden Schafe getötet, am Schweineschlachtplatz nimmt das Leben der Schweine ein Ende, in der Pferdeallee schlachtet man Pferde, auf den Katzen- und Hundemärkten sterben Katzen und Hunde … und das alles in unvorstellbaren Mengen, in so großer Anzahl, dass das Herz unruhig wird, der Geist in Aufruhr gerät, die Lippen trocken werden, die Zunge sich anfühlt, als sei sie verdurstet. In einem Wort: Was immer es auf der Welt gibt, das man essen kann – die Köstlichkeiten der Berge und der Meere, Vögel und Tiere und Fische und Insekten –, hier in Jiuguo werden Sie es finden. Dinge, die man anderswo bekommt, kann man auch hier bekommen. Dinge, die man anderswo nicht bekommt, kann man hier auch bekommen. Und nicht nur kann man sie bekommen, sondern was entscheidend ist, was bedeutsam ist, was wirklich großartig ist: All diese Dinge sind stilistisch,

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