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Die Schnapsstadt

Die Schnapsstadt

Titel: Die Schnapsstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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gegessen.»
    Jubelrufe von allen Seiten. Liebe Brüder und Schwestern, was seid ihr doch für Speichellecker!
    «Ihr braucht mir nicht zu danken», sagt er und zeigt auf mich. «Bedankt euch bei ihm. Drache und Phönix glücklich vereint ist nicht einfach zuzubereiten. Es gilt als unmoralisch. Letztes Jahr haben eine Anzahl bekannter Persönlichkeiten zu verstehen gegeben, dass sie es probieren wollten. Sie hatten Pech, denn sie waren einfach nicht die Richtigen dafür. Ich kann guten Gewissens sagen, dass Sie das wahre Glück der Feinschmecker genießen.»
    Er kippt drei Gläser Schwarze Perle* [*Ein bekannter Digestif aus Jiuguo] mit jedem Einzelnen von uns. Ein starkes Getränk; Schwarze Perle wirkt in unseren Mägen wie ein Fleischwolf und erzeugt brummende Geräusche.
    «Kümmert euch nicht um das Grummeln da unten. Schließlich habt ihr den Herrn Doktoranden der Alkoholkunde dabei.» Yu Yichi zeigt erneut auf mich. «Greift zu! Bedient euch! Drache und Phönix glücklich vereint verliert seinen Geschmack, wenn es kalt wird.» Er hebt den Drachenkopf mit seinen Stäbchen auf und legt der Dame, die ihr Interesse für die Geschlechtsteile von Eseln bekundet hat, davon vor. Ohne Scheu schlingt sie den Drachenkopf in großen Bissen hinunter, und alle anderen stürzen sich mit erhobenen Essstäbchen auf das köstliche Gericht, das in Sekundenschnelle verschwindet, wie wenn ein starker Wind die Wolken vom Himmel fegt.
    Mit finsterem Lächeln sagt er: «Heute Nacht werdet ihr nicht schlafen.»
    Versteht ihr, was er damit meint?
     
    Lieber Leser, liebe Freunde, meine Damen und Herren! Diese Geschichte hat mehr oder weniger ihr Ende erreicht. Aber ihr seid so gute Freunde, dass ich noch ein wenig mit euch plaudern möchte.
    In dieser Nacht torkelten wir, als die Eselsmahlzeit endlich beendet war, aus Yichis Taverne in die kühle Nachtluft. Der Himmel war sternklar, und feuchter Nachttau lag über dem Boden. Die Eselsgasse schimmerte in bläulich feuchtem Licht. Ein paar betrunkene Katzen sangen auf den Dächern, und die Dachziegel sangen mit. Der Tau war so kalt wie Reif, und auf beiden Seiten der Straße begann das Laub von den Bäumen zu fallen. Einige meiner angetrunkenen Freunde fingen an, alte Revolutionslieder zu singen. Abgehackte Phrasen aus Eselslippen und Pferdemäulern, südliche Weisen und die Melodien des Nordens drangen nicht viel wohlklingender ins Ohr des Zuhörers als das Maunzen der Katzen auf den Dächern. Den Rest ihres schlechten Betragens möchte ich nicht einmal eines Kommentars würdigen. Mitten in all dieser Unruhe hörten wir vom östlichen Ende der Straße her den hellen Tritt von flinken Hufen. Plötzlich schoss ein kleiner schwarzer Esel mit Hufen wie Schnapsschälchen und Augen wie Laternen gleich einem schwarzen Pfeil die Straße herab und blieb vor uns stehen. Ich war verblüfft, und dem Rest der Gruppe schien es nicht anders zu gehen, denn die Sänger schlossen ihre Münder, und die, die sich gerade übergeben wollten, taten das Gleiche. Zwanzig trunkene Augen starrten gebannt auf den kleinen schwarzen Esel und sahen zu, wie er vom Ostende der Straße zu ihrem Westende galoppierte und dann vom Westende wieder zum Ostende. Dreimal lief er hin und her, dann blieb er reglos mitten in der Eselsgasse stehen. Sein Körper glänzte wie Ebenholz. Er gab keinen Laut von sich. Er stand da, als sei er eine Statue. Unsere Körper erstarrten, wir standen wie angefroren da und warteten, ob die Legende wirklich Wahrheit werden sollte. Und in der Tat: Man hört die Dachziegel klappern, ein schwarzer Schatten springt herunter und landet genau auf dem Rücken des Esels. Es ist tatsächlich ein Jüngling, dessen blanke Haut schimmert wie Fischschuppen. Er trägt ein Bündel auf dem Rücken, und zwischen seinen Zähnen blinkt mit kaltem Glanz ein Schmetterlingsmesser.

V
     
    Verehrter Meister Mo Yan!
     
    Ich grüße Sie.
    Ich weiß nicht, wie ich ausdrücken soll, was ich in diesem Augenblick empfinde. Teurer, verehrter Lehrer! Ihr Brief war für mich eine Flasche sonnengereifter Branntwein, ein Donnerschlag im Frühling, ein Schuss Morphium, ein Zug aus der Opiumpfeife, eine hübsche junge Frau … Er hat den Frühling in mein Leben gebracht und mich an Körper und Seele erfrischt. Ich bin kein pharisäisch verlogener Gentleman, sondern weiß, dass mein Geist erfüllt ist von einem Talent, das bisher verborgen geblieben ist wie die kaiserlichen Konkubinen der Tang-Zeit; wie ein edles Schlachtross, das

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