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Die Schnapsstadt

Die Schnapsstadt

Titel: Die Schnapsstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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paar mittellose Akademiker …»
    Er greift zum Telefon und murmelt irgendetwas. Dann hängt er ein, dreht sich wieder zu mir und sagt: «Da wir alte Freunde sind, habe ich einen ganzen Esel für euch bestellt.»
    Freunde, nicht jeder Feinschmecker hat so viel Glück. Ein ganzer Esel! Zutiefst gerührt verneige ich mich. Jetzt wird er wieder etwas munterer. Er fällt wieder in seine kauernde Stellung zurück, und seine Augen beginnen wieder zu leuchten.
    «Du bist jetzt also Schriftsteller, stimmt's?», fragt er.
    Immer noch von Furcht und Schrecken gepackt, sage ich: «Nur ein paar kleine Aufsätze, so unbedeutend wie Hundefürze. Nicht der Rede wert. Ein bisschen zusätzliches Einkommen für die Familie.»
    «Lieber Herr Doktor», sagt er, «ich möchte dir ein Geschäft vorschlagen.»
    «Was für ein Geschäft?», frage ich.
    «Du schreibst als Ghostwriter meine Autobiographie», sagt er. «Ich zahle zwanzigtausend in bar.»
    Ich bin so aufgeregt, dass mein Herz wie wild klopft, aber ich sage bloß: «Ich fürchte, mein spärliches Talent ist einer so bedeutsamen Aufgabe nicht gewachsen.»
    Er tut meine Beteuerungen mit einer Handbewegung ab und sagt: «Deine gespielte Bescheidenheit kannst du dir schenken. Abgemacht. Du kommst jeden Dienstagabend, und ich erzähle dir meine Lebensgeschichte.»
    «Verehrter älterer Bruder, für jemanden, der so weit unter dir steht wie ich, ist es eine Ehre, das Leben eines so außergewöhnlichen Menschen beschreiben zu dürfen, ob er dafür bezahlt wird oder nicht …»
    «Schmink dir die scheinheiligen Sprüche ab, Wichser!», sagt er und zieht verächtlich die Mundwinkel nach oben. «Für Geld lässt sich der Teufel vor den Mühlstein spannen. Vielleicht gibt es ja Menschen auf der Welt, die nicht scharf auf Geld sind, aber ich habe noch keinen getroffen. Und genau deshalb kann ich zuversichtlich sagen, dass ich alle schönen Frauen von Jiuguo ficken werde.»
    «Das hat viel mit dem Charme meines älteren Bruders zu tun.»
    «Pah! », schnaubt er. «Schieb das deiner Alten in den Arsch. Der Vorsitzende Mao hat gesagt: ‹Es ist entscheidend, die eigenen Grenzen zu kennen.› Ich hab genug von deinem Scheiß, verschwinde!»
    Er nimmt eine Stange Marlboro aus der Schreibtischschublade und wirft sie mir zu. Mit den Zigaretten in der Hand bedanke ich mich herzlich bei ihm und sehe zu, dass ich wieder in die Traubenhalle komme und mich zu euch, liebe Freunde, meine Damen und Herren, an den Tisch setzen kann.
    Eine Schar von Zwergen serviert Tee und alkoholische Getränke und deckt den Tisch mit Tellern und Essstäbchen. Sie wirbeln um den Tisch, als hätten sie Räder unter den Füßen. Es gibt Mandarin-Oolong-Tee, und der Schnaps ist Maotai.
    Das sind zwar keine Lokalspezialitäten, aber dafür schaffen sie mühelos die Qualität eines Staatsbanketts. Als Erstes werden allerlei kalte Vorspeisen serviert, die in Form einer Lotosblüte auf einer Platte arrangiert sind: Eselsmagen, Eselsleber, Eselsherz, Eselsdarm, Eselslunge, Eselszunge und Eselslippen … alles vom Esel. Freunde, nehmt nicht zu viel von diesen Köstlichkeiten, denn aus Erfahrung weiß ich, das Beste kommt noch. Aufgepasst, Freunde! Jetzt kommen die warmen Gerichte. Du da, junge Dame, pass auf, dass du dir nicht den Mund verbrennst! Eine ganz in Rot gekleidete Zwergin – geschminkte Lippen und Rouge auf den Wangen, rote Schuhe und eine rote Mütze, von Kopf bis Fuß rot wie eine rote Kerze – kommt an den Tisch gerollt und bringt ein Tablett mit dampfend heißen Speisen. Sie öffnet den Mund, und ein Wasserfall von Worten fällt wie Perlen heraus:
    «Rot gedünstete Eselsohren. Lassen Sie es sich schmecken!»
    «Gedämpftes Eselshirn. Lassen Sie es sich schmecken!»
    «Glasierte Eselsaugen. Lassen Sie es sich schmecken!»
    Die Eselsaugen liegen appetitlich schwarz und weiß auf einer großen Platte. Greift zu, liebe Freunde! Geniert euch nicht! Sie mögen ja aussehen, als seien sie lebende Wesen, aber in Wirklichkeit sind sie auch nur Lebensmittel wie andere. Einen Moment! Es gibt nur zwei Augen, und wir sind zehn. Wie sollen wir sie gerecht verteilen? Können Sie uns da helfen, junge Dame? Das Mädchen, das aussieht wie eine rote Kerze, lächelt und greift nach einer stählernen Gabel. Zwei vorsichtige Einstiche, und die schwarzen Perlen platzen auf und fließen als zähe Flüssigkeit über die Platte. Greift zum Löffel, Genossen, und löffelt sie Löffel für Löffel auf. Dies Gericht sieht nicht einladend aus,

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