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Die Schnelligkeit der Schnecke

Die Schnelligkeit der Schnecke

Titel: Die Schnelligkeit der Schnecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Malvaldi
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Nummer eins, noch offen. Na gut, nur die Ruhe. Was muss ich jetzt machen? Ach ja. Die Ricciardi anrufen und dann bei der Behörde vorbeigehen. Oder warte mal, noch besser, wo ich doch schon unterwegs bin, gehe ich erst zur Gemeinde und rufe diese Hexe danach an.
    Massimo zog eine Zigarette aus dem Päckchen, sah sie an, beschloss, dass er sie nach dem Besuch bei der Behörde rauchen würde, und steckte sie wieder hinein. Dann betrat er den Zebrastreifen, um die Straße zu überqueren. Und als er gerade in der Mitte angekommen war, blieb er plötzlich stehen und schloss die Augen.
    Ein bärtiger Fahrradfahrer, der heransauste und nicht damit gerechnet hatte, dass jemand, der die Straße überquerte, plötzlich einfach stehen blieb, verfehlte ihn nur um einen Zentimeter. Er drehte sich um, ohne anzuhalten, um ihm eine angesichts der Lage unanfechtbare Beleidigung an den Kopf zu werfen. Massimo blieb weiterhin mit geschlossenen Augen mitten auf der Straße stehen.
    Einige Sekunden später hörte er Hupen gemischt mit ein paar Flüchen: Er öffnete die Augen und sah, dass sich neben ihm eine Schlange aus sieben oder acht Autos gebildet hatte, deren Fahrer verständlicherweise ungeduldig darauf warteten, endlich dahin fahren zu können, wohin sie fahren mussten, und die keine Baristi gebrauchen konnten, die ihnen auf die Nerven gingen. Massimo sprang mit einem großen Satz auf den Bürgersteig, dann ging er weiter und versuchte, die Beleidigungen nicht zu beachten. Während er weiter voranschritt, ging sein Atem immer schneller, und er spürte, wie sein Gesicht vor Aufregung anfing zu kribbeln.
    Ruhe, Ruhe, Ruhe. Es kann ein Zufall sein. Es kann sein, dass du dich irrst. Jetzt gehst du in die Bar und denkst erst einen Augenblick darüber nach. Es wird schon was geben, was ich tun kann. Vor allem aber muss ich verstehen, was das bedeutet. Irgendetwas bedeutet es, da bin ich mir sicher. Darauf verwett ich meine Eier. Na ja, weiß eh nicht, wozu ich die überhaupt noch brauche. Aber jetzt hör auf, so einen Schwachsinn zu denken, und konzentrier dich mal einen Augenblick.
    Während Massimo noch versuchte, sich zu konzentrieren, klingelte in der Bar das Telefon. Massimo hob automatisch den Hörer ab und brachte nur dank seines parasympathischen Systems ein abgelenktes »Pronto« heraus.
    »Ich bin pronto , ja. Seit einer halben Stunde bin ich fertig und abmarschbereit.«
    »Großvater?«, fragte Massimo.
    »Du hingegen hast einen Kopf wie ein Sieb«, fuhr Ampelio fort. »Und das geht jetzt schon dreißig Jahre lang so, dass du einen Kopf wie ein Sieb hast. Ich warte seit einer halben Stunde auf dich.«
    O mein Gott. Heute ist der Fünfundzwanzigste. Die Post. Ich habe vergessen, den Großvater zur Post zu bringen. Das war es.
    Ampelio ging am Fünfundzwanzgisten eines jeden Monats zur Post, um seine wohlverdiente Rente abzuholen. Natürlich hätte er sie sich auch auf sein Post-Girokonto überweisen lassen können. Leider war bisher jeder Versuch, den ehrwürdigen Greis davon zu überzeugen, sich das Geld aufs Konto überweisen zu lassen, von demselbigen mit der folgenden Argumentationsfolge zurückgewiesen worden:
Das einzige Geld, das du hast, ist das, welches du ausgibst, und wenn ich’s auf dem Konto habe, rühre ich’s nicht an.
Ich bin über dreiundachtzig Jahre alt und könnte schon morgen früh den Löffel abgeben, und wenn ich dann in der Hölle bin, kann ich mir mit den Scheinchen wenigstens ein bisschen Luft zufächeln.
Und überhaupt könnt ihr mir alle mal den Buckel runterrutschen.
    Angesichts der Unantastbarkeit der ampelionischen Weltanschauung musste man also in jedem Monat, den der Große Architekt auf Erden werden ließ, Ampelio abholen und zur Post bringen, damit er seine Rente in Empfang nehmen konnte. Etwas, was, seit er den Führerschein hatte, Massimos Aufgabe war, und zwar aus dem einfachen Grund, dass selbiger Ampelio ihm sein erstes Auto geschenkt hatte. Jeden Fünfundzwanzigsten. Und so auch heute.
    »Ja, Großvater«, sagte Massimo und versuchte die ungewohnte Situation zu meistern, höflich zu seinem Großvater sein zu müssen. »Nur die Ruhe. Bei mir ist es heute Morgen drunter und drüber gegangen, und da hab ich es tatsächlich vergessen.«
    »Ach, wie süß! Er hat es vergessen. Hör mal zu, so ein Schwachsinn, ich bin’s, der achtzig und ein paar Zerquetschte ist. Du bist an die fünfzig Jahre jünger. Wenn hier irgendwer das Recht hat, Sachen zu vergessen, dann bin das ja wohl ich und

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