Die Schnelligkeit der Schnecke
oder weniger in seinem Alter war und überhaupt nicht aussah wie ein Verbrecher, gerade gestand, einen Mord begangen zu haben. Und Massimo selbst hatte ihn in die Ecke getrieben. Er war es gewesen, der die Initiative ergriffen und mit Fusco gesprochen hatte, ihm geschildert hatte, was seiner Meinung nach geschehen war, und ihm vorgeschlagen hatte, Shin-Ichi Kubo zu vernehmen.
Doch anstatt einfach nur stolz darauf zu sein, fühlte er sich schlecht. Als hätte er sich in etwas eingemischt, was ihn nichts anging, in einen Scherz, der nicht für ihn bestimmt war, als hätte er das Opfer beiseitegenommen und alles verdorben. Unter den gegebenen Umständen und um den Eindruck loszuwerden, dass er in gewisser Hinsicht für dieses ganze Durcheinander verantwortlich war, sprach auch Massimo jetzt in bürokratischen Floskeln: »Doktor Kubo erklärt, Professor Asahara eine überhöhte Dosis eines Benzodiazepins verabreicht zu haben, und gesteht, auf diese Weise seinen Tod verursacht zu haben. Er behauptet, im Moment der Tat nicht gewusst zu haben, dass der Professor unter Myasthenie litt, und zu keiner Zeit beabsichtigt zu haben, seinen Tod herbeizuführen. Doktor Kubo wollte eine leichte Befindlichkeitsstörung bei Professor Asahara hervorrufen, um dessen Aufmerksamkeit von dem tragbaren Computer in seinem Besitz abzulenken und sich so dessen Speichermodulen zu bemächtigen. Die Speichermodule des besagten Computers befinden sich noch im Entwicklungsstadium, sie sind mithilfe einer revolutionären Technologie konstruiert und verfügen über mehr als sechzig Gigabyte Speicherplatz pro Stück. Diese Speichermodule waren Professor Asahara als Experten auf dem Gebiet der Numerik direkt von dem entwickelnden Unternehmen anvertraut worden, mit dem Ziel, ihre Errungenschaft an Berechnungen von Molekülsimulationen zu testen. Doktor Kubo hat sie mit dem Ziel entwendet, sie einem Techniker einer Konkurrenzfirma zu übergeben, die Doktor Kubo für den Fall, dass es ihm gelänge, ihr die Speichermodule auszuhändigen, eine Stelle als Direktor des Rechenzentrums in der Niederlassung in Tokio versprochen hatte.«
Epilog
Am nächsten Morgen, als Massimo in die Bar kam, sah er sich einer ziemlich kuriosen Szene gegenüber. Tiziana stand hinter dem Tresen, den Katalog einer Kunstausstellung aufgeschlagen vor sich und die Kopfhörer eines Walkmans auf den Ohren, und schüttete sich vor Lachen aus, während die Alten einander selbstgefällig anblickten. Es war nicht schwer zu verstehen, was da vor sich ging: Die vier ließen Tiziana teilhaben an einem ihrer, wie sie fanden, besten Scherze, der ihnen je gelungen war. Nämlich der angeblichen Audio-Führung durchs Museum.
Dieser Spaß war vor Jahren regelmäßig im Zusammenhang mit den sogenannten »Töpfe-Fahrten« organisiert worden, und zwar immer, wenn ein Museumsbesuch vorgesehen war. Zunächst besorgte man sich einen Katalog des zu besuchenden Museums. Dann suchte man besonders aussagekräftige Gemälde aus, zu denen Aldo mit seiner schönen Stimme einen Kommentar sprach, und nahm diesen auf eine normale Audiokassette auf, die wiederum mehrfach kopiert wurde. Jedes dieser Exemplare wurde in einen Walkman gesteckt, den die Alten dann an die Teilnehmer der Kaffeefahrt verteilten und als offizielle Audio-Führung des Museums ausgaben.
Natürlich entsprachen die Kommentare auf den Kassetten ganz und gar nicht dem gängigen Kanon der Kunstgeschichte und -kritik. Massimo erinnerte sich zum Beispiel noch haargenau an den Kommentar zu dem Bild, das Tiziana gerade vor sich liegen hatte, einem Gemälde von Rembrandt, das eine äußerst grimmig dreinblickende ältere Dame in Häubchen und Halskrause darstellte. Er begann folgendermaßen:
»Rembrandt Harmenszoon van Rijn, Porträt meiner Schwiegermutter. In diesem Werk porträtiert der Meister aus Leiden überaus lebensnah Edelfriede Van Gunsteren, Mutter seiner Frau Geltrude, die von den Chronisten jener Epoche als eine der fürchterlichsten Nervensägen Nordeuropas erinnert wird. Die Frau, eine Bäuerin niederer Herkunft, lebte auf Kosten des Schwiegersohns in seinem Haus, mäkelte von morgens bis abends an seinem Leben und seiner Arbeit herum und beschwerte sich bei Tisch, während sie sich selbst die besten Bissen herauspickte, häufig darüber, dass die Tochter nicht den reichen Tulpenhändler Jacobsen geheiratet hatte. Rembrandt seinerseits verabscheute die Frau und nannte sie im Kreise seiner Freunde nie anders als ›die
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