Die Schockwelle: Thriller (German Edition)
vorbei.
»Kommen wir noch einmal darauf zurück, was vor dem Zwischenfall in Roihupelto passiert ist. Warum sind Sie aus dem Krankenhaus geflüchtet?«
»Geflüchtet? Ich wollte nur etwas holen, was im Tresor meines Verlegers lag.«
»Warum gerade zu diesem Zeitpunkt?«
»Weil …« Sie überlegte. Sie müsste unbedingt von dem Material erzählen, das sie von Vera zur Aufbewahrung bekommen hatte. Lieber hätte sie darüber mit Riku Tanner gesprochen, aber den hatte sie im Präsidium noch nicht zu Gesicht bekommen.
Sie entschloss sich, dem Beamten alles zu erzählen, auch dass das Material auf der Straße vor dem Verlagsgebäude in falsche Hände geraten war.
Manninen strich sich über den Bart und stand auf. »Warum sagen Sie das erst jetzt?«
»Lohnt es sich, darüber zu diskutieren? Sollte man nicht lieber versuchen herauszufinden …«
»War das Material im Tresor so wichtig, dass es eine Flucht aus dem Krankenhaus rechtfertigte?«
»Warum wiederholen Sie ständig diesen Unsinn? Ich bin nicht geflohen! Ich wollte nur schnell das Material holen und dann sofort zurückkehren. Ich weiß, das war dumm von mir. Aber ich wollte das Material sehen, bevor ich es anderen zeige.«
»Warum?«
»Das habe ich doch gerade gesagt! Ich wollte Veras persönliche Unterlagen zuerst selbst lesen. Immerhin war sie meine Freundin und … Könnte ich vielleicht mit Tanner reden? Er kennt den Fall. Und er kennt sich mit Russland aus.«
»Später.«
Manninen ging zur Tür und sagte zu jemandem auf dem Gang: »Jere, würdest du mal herkommen.«
Ein blasser Mann mit hängenden Schultern kam herein und stellte sich als Jere Saari vor.
»Warum ist Tanner nicht hier?«, wollte Elina wissen. »Ich möchte …«
»Später«, unterbrach sie Manninen unfreundlich.
Elina spürte, wie ein seltsam ätzendes Gefühl in ihr immer stärker wurde.
»Könnte ich jetzt gehen?«
»Bald.«
Feliks Grischanow quälte den gemieteten Volvo geradezu, als er zur Krisensitzung in Kotka-Huutoniemi fuhr. Im Licht der fahlen Xenon-Scheinwerfer spritzte das Wasser aus den Pfützen auf, und Farnzweige streiften auf dem schmalen Geländeweg die Seiten des Fahrzeugs. Wegen der Wolkendecke über dem Meer schien der Nachmittag bereits in die Abenddämmerung überzugehen.
»Ich komme nach Hause, sobald ich kann«, sagte er zu seiner dreißigjährigen slowenischen Frau in London. Der Altersunterschied zwischen ihnen betrug fast dreißig Jahre, aber Feliks wusste, dass Dina ihn aufrichtig liebte.
»Morgen oder in einer Woche?«, fragte die zarte Stimme.
»Das weiß ich noch nicht.« Er zwang sich, möglichst freundlich zu klingen. »Flieg inzwischen nach New York, ziehe die Reise einfach vor. Oder überlege es dir wenigstens. Ich muss jetzt wirklich Schluss machen, ich rufe dich später noch einmal an.«
Nach dem Telefonat fluchte Feliks inbrünstig. Nowikows Tod war ein übler Rückschlag, aber die jüngste Information aus Olkiluoto glich einer Katastrophe. Dass sich ein Elektriker verletzte, war überraschend, aber doch kein ganz unerwartetes Ereignis, weshalb man für solche Fälle immer einen Plan B parat haben musste. Aber warum gerade jetzt, in einer so kritischen Phase?
Er hielt vor einem Metalltor an. Auf einem Schild stand: PRIVATGELÄNDE . ZUTRITT VERBOTEN.
Rechts und links erstreckte sich eine alte Mauer tief in den Wald hinein. Feliks öffnete das Tor und fuhr hindurch.
Eine gute Nachricht war immerhin, dass sie endlich Dobrinas Material aus dem Tresor des Verlags in die Hände bekommen hatten und dass es darin lediglich um die Besitzverhältnisseder Machthaber im Kreml ging und nicht um Meteor. Die zweite gute Nachricht war die Antwort, die von ihrem Computerspezialisten aus London gekommen war: Im Computer der Dobrina fand sich kein Hinweis darauf, dass sie konkrete Informationen über Meteor besessen hatte. Sie hatten den Rechner per DHL zur Analyse schicken müssen, weil sein Betriebssystem mit einem Passwort geschützt war. Dobrinas Wohnung in Moskau hatten sie schon vorher durchsucht.
Eine unschöne Möglichkeit existierte jedoch weiterhin – nämlich die, dass die Frau auch anderswo Material aufbewahrt hatte. Allein der Gedanke daran ließ Feliks’ Anspannung Spitzenwerte erreichen, während er im Schatten hoher Eichen auf das verwilderte Grundstück fuhr. Hinter den Bäumen war das graue Meer zu erkennen, neben dem Anleger ragte ein roter Bootsschuppen auf. Rechts stand eine weiße Villa, umgeben von wuchernden
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