Die Schockwelle: Thriller (German Edition)
Büschen.
Seiner Meinung nach hatte Feliks seine Nerven gut im Griff, denn er verfügte über jahrzehntelange Erfahrung. Hinter ihm lag eine lange Karriere beim Stab S der KGB-Auslandsaufklärung, die sich auf Sonderoperationen in den westlichen Ländern konzentrierte.
Im Jahr 1979 wurde Feliks von seinem ersten Einsatzort Kopenhagen nach Helsinki versetzt. Finnland war für den KGB in vieler Hinsicht ein spezielles Land, eine Art Hilfsstützpunkt, wo man wesentlich leichter operieren konnte als in anderen westlichen Ländern. Abgesehen von einigen Ausnahmen schlossen die Finnen die Augen vor dem Tun der Aufklärungsoffiziere. Helsinki wurde als Transitkorridor benutzt, wenn Illegale aus aller Welt zu Besuch in die Heimat kamen, und in Helsinki wurden brisante Treffen organisiert, denn Finnland wagte es nicht, einem Russen ein Visum zu verweigern, ganz gleich, um wen es sich handelte. Und vor allem konnte der KGB, wie auch der Militärgeheimdienst GRU, in Finnland ohnezu zögern Offiziere stationieren, die in anderen Ländern sofort aufgeflogen wären.
Feliks hielt neben den Granitstufen, die zum Eingang der Villa führten, an. Der Sockel des im frühen 20. Jahrhundert errichteten Gebäudes bestand aus riesigen Natursteinen. Über der Terrasse befand sich ein Balkon, dessen verzierte Stützsäulen von Pflanzen umrankt waren.
Feliks stieg die Treppe zur Haustür hinauf. Er musste sich zurückhalten, um nicht mehrere Stufen auf einmal zu nehmen.
Noch bevor er anklopfen konnte, öffnete ihm Peter Richter die Tür. Der sechzigjährige Deutsche mit dem dunklen Schnurrbart war leger gekleidet: Flanellhemd, Jeans und Trekking-Schuhe.
»Was ist mit Nowikow?«, fragte er ohne ein Wort der Begrüßung, als sie die Treppe zum Garten hinuntergingen.
»Er ist durch eine Polizeikugel gestorben.« Sie gingen auf ein geräumiges Nebengebäude hinter dem Haus zu, das als Garage diente. »Tanner hat ihn erschossen und ist jetzt verschwunden. Aber Nowikow ist unser geringstes Problem«, fuhr Feliks fort.
Richter bewahrte wie immer die Ruhe. Der Mann war Ingenieur und ging mit allem seltsam analytisch und in gewisser Weise auch mechanisch um. Seit er in den Achtzigerjahren längere Zeit in der DDR-Vertretung in Helsinki für den Wissenschafts- und Techniksektor der Stasi-Aufklärung gearbeitet hatte, konnte er leidlich Finnisch.
Auch Feliks zwang sich zur Gelassenheit. »Ist der Ersatzmann in Olkiluoto aktiviert worden?«
»Das läuft gerade.«
Für Feliks war es wie ein überraschendes Geschenk des Himmels gewesen, als er feststellte, wie schwach die Sicherheitsmaßnahmen in Olkiluoto waren. Das war merkwürdig, denn sogar ein Beamter der für die Reaktorsicherheit zuständigen finnischen Behörde hatte in einer öffentlichen Dokumentationgeschrieben, dass die wahrscheinlichste Gefahrensituation in einem Atomkraftwerk durch einen »Insider incident« verursacht würde, also durch das Personal. Auch deshalb hatten Feliks und Peter Richter nicht glauben wollen, wie großzügig auf die Zuverlässigkeit der Bauarbeiter in Olkiluoto gesetzt wurde.
Es sagte auch viel über die Einstellung der Finnen aus, dass Demonstranten, die auf das Kraftwerksgelände vorgedrungen waren, fast eine Stunde Zeit hatten, ihre Transparente zu entrollen und zu zeigen. In Deutschland hingegen gab es zum Beispiel Rauchgranatensysteme, die innerhalb von vierzig Sekunden ein Atomkraftwerk verhüllen konnten, um es vor Terroristen zu schützen, die sich der Anlage per Flugzeug näherten.
Feliks betrat hinter Richter den Schuppen, wo Juri und Anton warteten. Mitten im Raum stand ein mit Plastik umwickelter Metallkasten. Er stammte von dem Tanker Free Voyager , der im Hafen von Kotka lag.
Richter trat an den Kasten, löste mit einem Messer die Plastikfolie und drehte am Zahlenschloss. Es schnappte auf, und Richter öffnete den Deckel.
Zum Vorschein kamen weiße Päckchen, die von Juri und Anton in Taschen gepackt wurden.
»Zweiunddreißig«, sagte Juri dann. »Alle da.«
Richter beugte sich über den leeren Kasten und nahm den Zwischenboden heraus. Darunter lag ein länglicher Behälter aus Metall.
Als Feliks ihn sah, strafften sich seine Gesichtszüge. »Fahr so bald wie möglich mit Anton nach Olkiluoto und sieh zu, dass es dort vorangeht«, sagte er zu Richter. Er überlegte noch, ob er Kirill in London über den Einsatz des Ersatzmannes informieren sollte, beschloss aber, es bleiben zu lassen. Seine Befugnisse reichten aus, um den Plan B
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