Die Schockwelle: Thriller (German Edition)
guten Grund gehabt, von dem Fabrikgelände in Roihupelto zu verschwinden. Für alles würde es eine Erklärung geben. Sie vertraute Riku, auch wenn ihn seine Methoden – so effektiv sie auchsein mochten – als knallharten Polizisten, der die Gesetzesparagrafen dehnte, wie es ihm gerade passte, erscheinen ließen. Die Informationsbeschaffung in kriminellen Kreisen war riskant, aber unumgänglich, die Grenze zwischen Weiß und Schwarz dabei bisweilen schwer zu ziehen.
Mira seufzte tief und ging dann widerwillig in Saaris Büro hinüber. Lieber hätte sie etwas Konkretes unternommen, um Antworten auf die Fragen zu erhalten, die sie bedrückten. Das war jetzt aber nicht möglich, sie musste bei der Kontaktaufnahme mit Riku noch vorsichtiger sein als sonst.
Elina stand vor der Tür ihrer Mietswohnung am Karhupuisto und drehte den Schlüssel.
»Bist du dir sicher?«, flüsterte Sebastian.
Ohne zu antworten, stieß Elina die Tür auf. Vom Flur aus fiel ihr Blick in eine Wohnung, deren Möbel ordentlich an ihrem Platz standen. Die Wohnung wirkte unberührt, als wäre nie etwas Unschönes darin vorgefallen.
Elina zwang sich, in die Küche zu schauen. Man hatte den Boden gewischt, es waren keine Spuren der Tragödie mehr zu erkennen. Aber würde sie je wieder hier wohnen können? Sie durfte nicht ständig an Vera denken. Jetzt war nicht die Zeit für Gefühle, jetzt galt es, einen klaren Kopf zu bewahren und stark und zielstrebig zu sein. So wie Vera es gewesen war.
Sie trat ins Wohnzimmer. Alle Dinge, auch die Ziergegenstände, schienen sich auf ihrem Platz zu befinden: der Globus aus dem 19. Jahrhundert auf dem schwarz gestrichenen alten Holztisch, die aus den Vereinigten Staaten mitgebrachte Bogenhülle der nordamerikanischen Mohawk-Indianer an der Wand. Auch die Bücher und Unterlagen waren dort, wo sie hingehörten.
Elina blickte hinter sich. Sie hatte Sebastian vollkommen vergessen, und jetzt war er verschwunden. Sie sah im kleineren Schlafzimmer nach, und dort stand er, nachdenklich vor sichhinstarrend. Als sie in der Tür erschien, kam er zu sich und fragte: »Hat Vera hier ihre Sachen aufbewahrt?«
Elina nickte.
»Hat die Polizei alles mitgenommen?«
»Ich denke schon. Warum?«
»Ich habe mich nur gefragt, woher die Polizei weiß, was dir gehört und was Vera.«
»Worauf willst du hinaus?«
»Vergiss es, ich hab nur nachgedacht …«
Elina kehrte ins Wohnzimmer zurück und wunderte sich über Sebastians Fragen. Sie kannte ihn inzwischen gut genug, um zu wissen, dass es sinnlos war, jetzt nachzuhaken. Was er dachte, würde er ihr erzählen, wann er es für richtig hielt. In Gedanken versunken fiel ihr Blick auf den verzierten Teller auf dem Tisch, auf dem sie unter anderem die Schlüssel für den Dachboden, fürs Fahrrad und für den Koffer aufbewahrte. Sie war bereits daran vorbeigegangen, als sie begriff, dass etwas nicht stimmte, und kehrte zum Tisch zurück.
»Hier liegt ein Schlüssel zu viel«, sagte sie.
Sebastian trat neben sie und nahm den überzähligen Schlüssel in die Hand. Es war eine Nummer eingestanzt.
»Sieht nach einem Schließfachschlüssel aus … Gehörte der Vera?«
Elina nickte langsam. »Und ich weiß auch, wo er hineinpasst.«
Innenministerin Sirkka Timonen war angespannt, versuchte es aber, so gut es ging, zu verbergen und trank einen Schluck Mineralwasser. Sie saß im Konferenzraum ihres Ministeriums in der Kirkkokatu, wo die oberste Polizeiführung zu einer kurzfristigen Beratung gebeten hatte.
»Der in Roihupelto ums Leben gekommene Mörder von Vera Dobrina ist identifiziert«, sagte Polizeipräsident Mäenpää.
Es wurde still im Raum.
»Er hieß Andrej Nowikow. In den Achtzigerjahren war er in der sowjetischen Botschaft in Helsinki tätig. Die Sicherheitspolizei hat uns das bestätigt.«
Ministerin Timonen starrte Heikki Mäenpää unverwandt an, als könnte sie nicht glauben, was sie gerade gehört hatte.
»Was hat das jetzt zu bedeuten?«, fragte sie schließlich vorsichtig.
Der Polizeipräsident blickte kurz auf die anderen Polizeichefs im Raum und sagte dann: »Das ist noch nicht alles. Ich übergebe Kommissar Auer von der KRP das Wort.«
»Wir wissen über den Mann noch ein bisschen mehr«, begann Auer. »Nach den Jahren in der Botschaft verschwand er, tauchte zuletzt aber in einem anderen Zusammenhang wieder auf. Er war in den Drogenhandel verwickelt.«
Ministerin Timonen wurde sogleich hellhörig. Alles, was auf andere als politische Motive hindeutete,
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