Die schöne Ballerina (German Edition)
beieinander und sahen sich in die Augen. Dann nahm Seth eine Hand von Lindsays Schulter, um ihr mit einer zärtlichen Geste den Mantelkragen zu schließen.
»Ist es nicht seltsam«, fragte Lindsay nachdenklich, »dass ich mich so stark zu Ihnen hingezogen fühle, obgleich ich Sie gestern noch hätte erwürgen können? Und ich bin noch nicht einmal sicher, ob Sie mir heute viel sympathischer sind.«
Er lachte herzlich. »Sind Ihre Bekenntnisse immer so offenherzig und gleichzeitig so schwer zu verstehen?«
»Kann schon sein.« Lindsay freute sich über seine gute Laune. »Jedenfalls habe ich nicht viel Talent zum Versteckspielen. Ich sage meistens, was ich denke.« Sie überreichte Seth die ordentlich gefaltete Jacke. »Dass ich sie Ihnen unter diesen Umständen zurückgeben würde, habe ich ganz gewiss nicht erwartet.«
Seth blickte kurz auf die Jacke, bevor er Lindsay fragend ansah. »Hatten Sie andere Umstände im Sinn?«
»Das kann man wohl sagen! Und sie waren alle nicht sehr erfreulich für Sie. Können wir gehen?« Sie streckte ihm impulsiv ihre Hand entgegen.
Überrascht zögerte er eine Sekunde, bevor er lächelnd seine Finger mit ihren verschränkte.
»Sie sind ganz anders, als ich Sie mir vorgestellt habe«, erklärte Seth, als sie in die kühle Nacht hinaustraten.
»Wirklich? Wieso?«
Schweigend gingen sie nebeneinander her. Lindsay atmete tief den würzigen Duft modernder Blätter ein.
Als sie seinen Wagen erreichten, blieb Seth vor ihr stehen und betrachtete Lindsay wieder mit einem seiner prüfenden Blicke, an die sie sich mittlerweile schon fast gewöhnt hatte.
»Das Bild, das Sie mir heute Morgen vermittelten, entsprach mehr meinen Erwartungen, tüchtig, distanziert und sehr kühl.«
»So wollte ich eigentlich auch heute Abend auf Sie wirken. Aber leider habe ich es dann ganz vergessen.«
»Darf ich Sie etwas fragen?«
»Nur zu.«
»Als Sie mir eben die Tür aufmachten, sahen Sie aus, als wären Sie am liebsten um Ihr Leben gerannt. Würden Sie mir den Grund dafür verraten?«
Sie schaute ihn überrascht an. »Das haben Sie bemerkt? Ich hätte es nicht vermutet. Sie haben sehr viel Einfühlungsvermögen.« Seufzend ließ Lindsay sich in das Polster des Wagens sinken. »Es hatte mit meiner Mutter zu tun, oder besser gesagt, mit meinem Gefühl der Unzulänglichkeit ihr gegenüber.« Sie drehte ihm ihr Gesicht zu, bis sie in seine Augen sehen konnte. »Vielleicht erzähle ich Ihnen eines Tages davon. Aber nicht heute Abend. Heute Abend will ich nicht mehr daran denken.«
Wenn er über ihre Antwort erstaunt war, so zeigte er es nicht. »Gut. Vielleicht haben Sie stattdessen Lust, mir ein bisschen über Cliffside zu erzählen.«
Lindsay nickte dankbar. »Wie weit ist es bis zu unserem Restaurant?«
»Ungefähr zwanzig Minuten.«
»Das wird gerade reichen«, erklärte sie.
5. K APITEL
Lindsay entspannte sich. Sie erzählte Seth allerlei Amüsantes über die Einwohner von Cliffside, weil sie ihn so gern lachen hörte. Vergessen war ihre trübe Stimmung von vorhin. Jetzt freute sie sich über die Gelegenheit, Seth besser kennenzulernen, denn sie fühlte sich immer mehr zu ihm hingezogen. Zwar hatte sie gewisse Bedenken wegen seiner heftigen Ausbrüche, aber die würde sie in Kauf nehmen. Dafür war er wenigstens nicht langweilig.
Lindsay kannte das Restaurant. Sie war schon vorher von Männern, die sie beeindrucken wollten, dorthin eingeladen worden. Sie wusste jedoch, dass Seth es nicht nötig hatte, sie oder irgendjemand anderen zu beeindrucken. Er hatte das Lokal ausgesucht, weil es ihm gefiel. Es war ruhig, elegant, bekannt für ausgezeichnetes Essen und guten Service.
»Ich bin einmal mit meinem Vater hier gewesen«, erzählte Lindsay, während sie auf den Eingang zugingen. »Es war an meinem sechzehnten Geburtstag. Bis dahin hatte ich nicht mit Jungen ausgehen dürfen. Vater sagte, er wolle der erste Mann sein, der mich zum Essen ausführte, und lud mich in dieses Restaurant ein.« Lindsay wurde warm ums Herz bei der Erinnerung an ihren Vater. »Das war ganz typisch für ihn. Er ließ sich immer etwas Besonderes einfallen.« Sie bemerkte, dass Seth sie von der Seite ansah. »Ich bin froh, dass ich Ihre Einladung angenommen habe, und ich bin froh, heute Abend mit Ihnen hier zu sein.«
Er strich mit der Hand über ihren Mantelärmel und erwiderte: »Ich auch.«
Gemeinsam schritten sie langsam die wenigen Stufen zum Haupteingang hinauf.
Bei ihrem Eintritt fühlte Lindsay sich wie
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