Die schöne Betrügerin
tätschelte ihr, bevor sie ging, noch die Schulter. »Lassen Sie sich Ihr Frühstück schmecken. Ich habe so ein Gefühl, dass Kurt sich heute Morgen selbst übertroffen hat.«
Nachdem sie sich angezogen und ihr Haar mit einem feuchten Kamm zu bändigen versucht hatte, hob Phillipa die Haube von der Servierplatte.
Himmel. Nektar und Ambrosia. Dieses Frühstück war einer Königin würdig. Und ein paar ihrer Hofdamen dazu.
Phillipa, die am Tag zuvor nichts gegessen hatte, aß mit herzhaftem Appetit. Zudem schien sie die Fähigkeit, damenhaft herumzustochern, völlig eingebüßt zu haben. Sie sah nach unten und stellte fest, dass ihre Knie ganz eindeutig gespreizt waren. Sie presste sie zusammen.
Oh,
merde.
Sie hatte ganz vergessen, wie man ein Mädchen ist.
30. Kapitel
Den ganzen Nachmittag über trieb James sich selbst, Fisher und Phillipa im Dechiffrierzimmer mächtig an. Anfangs hatte er Phillipa ein paar unwichtige Texte zum Entschlüsseln gegeben, bis er mit Gewissheit wusste, dass sie akkurat arbeitete. Dann hatte er darauf bestanden, dass sie sich Lavinias Briefe vornahm.
Sie vermutete, dass James ihr immer noch nicht vertraute. Es war lediglich ein Zeichen seiner Verzweiflung, dass er sie überhaupt mit dieser Aufgabe betraute.
Phillipa rieb sich die Wangen, dann presste sie sich die Handflächen auf die Augen, um sich so Linderung zu verschaffen. »Da ist nichts.«
»Es muss etwas drin sein!«
Phillipa verlor sichtlich die Geduld und schlug mit den Händen auf den Tisch. »Ich bin vielleicht nicht mein Vater, aber ich verstehe genug von der Materie, um Muster zu erkennen. Codierungen haben ein gewisses Raster, gewisse Wiederholungen, einen gewissen Rhythmus. Selbst wenn man den Code nicht knacken kann, kann man erkennen, dass einer vorhanden ist.«
Sie griff sich ein paar der Schriftstücke und gestikulierte damit in James’ Richtung. »Lady Winchells Liebesbriefe sind genau das: Liebesbriefe. Sie sind weinerlich, langweilig, eindeutig pornographisch… hatte ich ›langweilig‹ schon erwähnt? Sie sind nicht codiert.«
James knirschte mit den Zähnen. »Sie müssen eine verborgene Bedeutung haben! Warum würde sie sonst so viele schreiben?«
»Ich weiß es nicht, James. Ist Ihnen je in den Sinn gekommen, dass sie vielleicht
verliebt
ist?« Wut stand in ihrem Gesicht. »Aber ich habe nicht behauptet, dass es keine verborgene Bedeutung geben kann.«
James beugte sich begierig vor. »Aha! Und können wir damit ihre Schuld beweisen?«
Phillipa nahm eine der mit routinierten Buchstaben bedeckten Seiten und äugte sie an. »Das hängt davon ab, für welches Vergehen Sie sie schuldig halten. Ich persönlich halte sie für die widerwärtigste Frau, die mir je untergekommen ist.« Sie schüttelte den Kopf und reichte James das Blatt. »Hier, zum Beispiel. Was hat diese Phrase zu bedeuten, frage ich Sie?« Sie zeigte auf die untere Hälfte der Seite.
James las die betreffende Stelle und schaute weg. »Ich habe nicht die leiseste Ahnung.« Er schob den Brief unter die anderen und hoffte, dass sein Gesicht nicht so heiß aussah, wie es sich anfühlte. Phillipas Frage bezog sich auf einen sehr speziellen Zeitvertreib, den selbst James erst bei Lavinia kennen gelernt hatte. Es war eine ihre Lieblingsaktivitäten gewesen, und James hatte mehr als einmal ihren amüsierten und willigen Partner abgegeben.
Sein Magen krampfte sich zusammen, als er sich an Lavinias sündigen Zauber erinnerte, und er zwang sich, an Amilah zu denken. Im Vergleich zu Lavinia stellte sogar eine in Schleier gewandete Dame der Halbwelt eine frische, unschuldige Abwechslung dar.
Er hatte während der letzten beiden Tage oft an Amilah gedacht. Ihre Rätselhaftigkeit forderte ihn heraus, ließ ihn nie ganz los. Er würde vermutlich niemals erfahren, was diese junge Frau dazu bewogen hatte, einen Fremden in einen Lagerraum zu locken, um ihm ihre Jungfräulichkeit zu schenken. Ob sie ihn aus der Ferne gesehen und sich nach ihm gesehnt hatte?
Vermutlich hatte sie ihn als williges Mittel betrachtet, sich von der Last ihrer Unschuld zu befreien… Aber war diese Unschuld für eine Kurtisane nicht Goldes wert?
Das Rätsel würde ungelöst bleiben, denn es galt, Dringlicheres zu klären. Er räusperte sich und verbannte Amilah aus seinen Gedanken. Er wollte nicht mehr an jene Augen denken, die so gut zum Türkischblau ihrer Schleier gepasst hatten.
»James!«
Er riss sich in die Gegenwart zurück. Phillipa strahlte ihn mit Augen an, die
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