Die schöne Betrügerin
schlug Rose vor.
»Nein«, lächelte Clara. »Sie könnten beschließen, eine
neue
Phillipa zu werden.«
Agatha nickte zufrieden. »Ja, Clara, ganz genau. Unser unerschrockener Flip.«
Eine neue Phillipa. Eine Frau, die dazu gelernt hatte, die liebte und die mädchenhaften Schranken überwunden hatte.
»Ja«, sagte Phillipa mit belegter Stimme. »Ich denke, das will ich sehr wohl.«
Als James am Abend in den Club zurückkehrte, erhielt sein kaum erloschener Zorn neue Nahrung. Stubbs teilte ihm nämlich mit, dass Ren Porter verschwunden sei.
»Die Krankenschwester sagt, er ist einfach nicht mehr da. Er wollte, dass sie ihn in Ruhe lässt, und das hat sie auch fast den ganzen Tag lang getan, aber dann ist sie rein, um zu fragen, ob er sein Essen will. Da hat sie gesehen, dass er weg ist und seine ganzen Sachen mitgenommen hat.«
Die »ganzen Sachen«, die Ren mitgenommen hatte, waren die paar alten Kleidungsstücke, die er in seinem selten genutzten Raum im Club aufbewahrt hatte. Irgendwann hatten sie Mrs. Neely die Kleidung geschickt, für den Fall dass Ren aufwachte.
»Aber wie hat er es geschafft, aufzustehen und zu gehen? Jemand muss ihm geholfen haben.«
»Mrs. Neely sagt, er ist eigentlich nur halb blind und schwach. Seine Beine sind ziemlich gut verheilt, wenn man bedenkt…«
James fuhr sich übers Gesicht. Sein Freund allein in London, geschwächt und nahezu blind. Er konnte die Vorstellung, was Ren in dieser Verfassung zustoßen könnte, nicht ertragen. »Schlag Alarm und trommle alle zusammen. Sie sollen nach ihm suchen – überall. Vielleicht hat er ja den Verstand verloren – das lässt sich nicht abschätzen.«
Seine innere Stimme riet ihm, die Themse abzusuchen. Ren war früher ein fitter, kraftstrotzender Bursche gewesen, einer, der mit Krankheiten nicht zurechtkam. James erstickte die Stimme mit all seiner Willenskraft. Kein Liar würde diesen Weg wählen, nicht solange er seine Brüder hatte.
Bitte, lieber Gott, nicht noch ein Leben auf meinem Gewissen!
Rens Attentäterin kehrte in diesen Minuten in ihr schönes Zuhause zurück, konnte weiter Zerstörung und Tod säen. James wandte sich ab, bevor sich sein Zorn noch auf Stubbs übertrug. Dann stieg er die Treppe hinauf und passierte die Geheimtür am Ende des Ganges.
Als er kurz in der Dunkelheit innehielt, hörte er etwas, das eine Erinnerung erweckte…
Den armen Fish hatte Phillipa mit ihrer Verwandlung in eine Frau völlig verwirrt. Als sie das Dechiffrierzimmer betrat, hatte der Mann vor lauter Überraschung keinen ganzen Satz mehr zustande gebracht. Dann war er bei der erstbesten Gelegenheit verschwunden, angeblich, um ein paar Schriftstücke zu holen, die sie entziffern sollte.
Phillipa hatte ihm mit amüsiertem Lächeln nachgeschaut, als er das Zimmer verlassen hatte; vielleicht hatte sie ihr gutes Aussehen ja doch nicht ganz eingebüßt.
Während sie auf Fishers Rückkehr wartete, sortierte sie die vorhandenen Unterlagen nach ihren Bedürfnissen. Zahlencodes auf den einen, Buchstabencodes auf den anderen Stapel. Beim Arbeiten summte sie müßig vor sich hin. Sie hatte nichts gegen derartige Ratespiele, auch wenn sie sicher nicht so aufregend waren wie verdeckte Ermittlungen.
Als sie Schritte an der Tür hörte, drehte sie sich um und hieß Mr. Fisher mit einem Lächeln willkommen. »Das ging aber schnell, ich dachte -«
Es war James. Er sah sie mit düsterem, schmerzhaft zornigen Blick an. »Amilah.«
Ach je! Das Lied, das sie gesummt hatte, war eben jene arabische Melodie gewesen, zu der Amilah getanzt hatte. Die Luft wich aus ihren Lungen, und sie tat instinktiv einen Schritt nach hinten. Sie feuchtete die trockenen Lippen an und hob die Hand. »James -«
Phillipa Atwater trägt Türkischblau und summt Amilahs Lied.
James wurde erst kalt – und dann heiß. Wie in einem Vulkan stieg der Zorn in ihm auf. Selbst Amilah war nur eine Lüge gewesen. Der einzige Lichtstrahl in diesen dunklen, höllischen Tagen wurde von der grauenhaften Erkenntnis der eigenen Dummheit erstickt.
Diese Frau – diese verdrehte boshafte Frau – war in jeden Aspekt seines Lebens eingedrungen. Sie hatte als kluger Phillip sein Haus und seine Freunde übernommen, sie hatte als verletzliche Phillipa seinen Sohn um den Finger gewickelt und war als Amilah in seine intimsten Träume gedrungen.
Phillip — Phillipa — Amilah.
Zum ersten Mal sah er alle Gesichter dieser chamäleonartigen Frau in einem einzigen, verlogenen, schönen Antlitz
Weitere Kostenlose Bücher