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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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Weltbedeutung zu regeln hatte? Mangel an Familiensinn, in der Tat! Und die dreihundert Goldnapoleons von unvorstellbarer Schwere, die er mich gestern Abend anzunehmen zwang, um sie gerecht unter uns fünf aufzuteilen, so wie ich es dir sofort nach meiner Rückkehr ins Hotel berichtet hatte, und du wolltest deinen Anteil sofort ausbezahlt haben, nämlich sechzig Napoleons, du gierige Bestie, du gefräßiger Löwe!«
    »Ich wollte sie nur in aller Unschuld unter mein Kopfkissen legen und in meinem Schlaf den Klang ihrer Musik vernehmen!«
    »Mangel an Familiensinn, in der Tat! Sechzig Napoleons, eine in der Schweiz gängige Münze!«
    »Gängig und befreiend, zugegeben! Aber was nützen mir die Napoleons und ihre Freuden, wenn mir diejenige verwehrt ist zu schaffen, zu handeln und bewundert zu werden? Was ich brauche, ist eine bewegte Existenz mit Diskussionen und Stratagemen! Na ja, eben ein bisschen Leben vor sehr viel Tod! Sei vernünftig, o Saltiel, und versteh meine Angst. Wir sind in Genf, der Stadt der Luxusempfänge, und ich bin nicht dabei! Will denn dein Neffe mich in einen goldenen Käfig sperren, bis ich Leukämie bekomme? Ich kann nicht mehr, ich habe Hitzewallungen vor Nichtstun, und dieses einsame Leben macht aus mir eine vertrocknete Alge!«
    »Und was folgerst du daraus, o Redner?«
    »Dass wir alle, außer mir, Narren sind! Und dass wir, da dein Neffe nicht zu uns gekommen ist, zu ihm gehen sollten, in sein Schloss der Nationen!«
    »Nein, er wäre verärgert, wenn wir unangemeldet zu ihm kämen. Ich werde über den elektrischen Draht mit ihm sprechen und ihn daran erinnern, dass wir auf ihn warten.«
    »Aber was haben wir davon, wenn er hierher kommt?«, stöhnte Eisenbeißer und gab damit seine geheimsten Gedanken preis. »Inmitten der Gesandten und Botschafter sollten wir ihn sehen, das würde unserer Seele Auftrieb geben, denn sie braucht Gesandte und Botschafter, mit einem Wort, Persönlichkeiten und lebhafte Gespräche mit ebendiesen! Los, Saltiel, leben wir ein bisschen gefährlich und besuchen wir ihn an diesem köstlichen Ort der Einflüsse! Frisch gewagt! Stellen wir ihn vor die vollendete Tatsache! Schließlich war mein Großvater der Vetter seines Großvaters! Und außerdem, mein Lieber, gibt es offene und fette Pöstchen in diesem Völkerbund, herrliche Gelegenheiten! Wer weiß, was das Schicksal alles für uns bereithält, wenn wir heute dorthin gehen? Vielleicht werde ich Lord Balfour kennenlernen und mit ihm Freundschaft schließen! Übrigens habe ich in der Zeitung dieser Stadt gelesen, dass der Graf von Paris, der Erbe der vierzig Könige, die in zwanzig Jahrhunderten Frankreich erschaffen haben, in Genf weilt! Vielleicht ist er gerade jetzt im Schloss der Nationen, und ich möchte gern seine Bekanntschaft machen und mir mit einigen royalistischen Bemerkungen seine Sympathie erwerben, denn ich möchte lieber gleich meine Vorsichtsmaßnahmen treffen für den Fall, dass die Monarchie in Frankreich wieder eingeführt werden sollte! Glaub mir, Saltiel, dein Neffe wird glücklich sein, wenn wir unangemeldet auftauchen, und seine Zunge wird vor Freude platzen, Ehrenwort! Vorwärts, Saltiel, komm und sieh dich an deinem Neffen satt, wie er sich in seiner Bedeutung sonnt, auf dass dir die Brust schwelle, wie mir die meine!«
    Er redete noch lange, und der arme Saltiel ließ sich endlich überzeugen, weil er alt und schwach war in seinem fünfundsiebzigsten Lebensjahr und weil er seinen Neffen liebte. Er erhob sich also auf seine zitternden Beine, und Eisenbeißer öffnete sofort strahlend die Tür und rief mit lauter Stimme Salomon und Michael herbei, die im Flur den Ausgang des Gesprächs abgewartet hatten.
    »Auf in den Trubel der mondänen Welt, meine Herren!«, rief er ihnen zu. »Ein Besuch bei seiner Exzellenz steht nunmehr auf der Tagesordnung! Auserlesene Kleidung und Abendanzug unbedingt erwünscht! Machen wir unserer geliebten Insel Ehre, und blenden wir all diese Christenmenschen ein wenig durch unsere Kleidung! Und zu diesem Zwecke, meine Lieben, lasst beherzt die Goldnapoleons springen, die der Onkel im Auftrag des edlen Spenders für euch zur Verfügung hält! Wer sich nicht phantastisch kleidet, wird nicht zugelassen, sich die Gesandten und Botschafter anzusehen! Ich habe gesprochen! Was mich angeht, so werde ich mit Hilfe meiner sechzig Taschennapoleons und noch bevor die Luxusgeschäfte schließen, eilen, mir in der Stadt neue Klamotten, Accessoires und Flitterkram von

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