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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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»hoffentlich auf bald« (man durfte sich keine Feinde machen, auch keine harmlosen) fallenzulassen und wie ein geübter und flinker Jäger die Gelegenheit beim Schopf zu packen und sich an den Oberwichtigen heranzupirschen, der, das spürte man plötzlich, bald frei sein würde. Daher ließ man ihn nicht mehr aus den Augen und hielt ein Lächeln bereit. Doch der Oberwichtige hatte, nicht dumm, die Gefahr gewittert. Nachdem er sich unverhofft seiner bisherigen Nervensäge entledigt hatte, tat der Oberwichtige so, als habe er den Blick und das Lächeln des unterwürfigen Wichtigen, diesen Blick liebender Begehrlichkeit und dieses vasallenhafte, kaum angedeutete, aber sozusagen auf der Lauer liegende Lächeln, nicht bemerkt, verkrümelte sich, Zerstreutheit vorschützend, klammheimlich und verschwand in der trinkenden und kauenden Menge, während der arme Wichtige, enttäuscht, aber nicht entmutigt, traurig, aber hartnäckig und unbeirrt in seinen Vorsätzen, froh, seine eigene Nervensäge losgeworden zu sein, sich daran machte, eine neue Beute zu verfolgen.

    Indessen hatte sich der mit knapper Not der Gefahr gesellschaftlicher Herabsetzung entkommene Oberwichtige geschickt an einen noch Wichtigeren, einen Oberoberwichtigen herangemacht, der leider von einem Hofstaat von Jasagern umringt war. Die Augen bereits feucht vor Gehorsam, schon leidenschaftliche Bescheidenheit und Sanftmut ausstrahlend, schickte er sich nun seinerseits an, sobald wie möglich, aber würdevoll seinen Haken auszuwerfen, nicht aus hochmütigem Stolz, sondern weil es von Nachteil ist, sich unter dem eigenen Wert zu verkaufen. Er lauerte auf die Gelegenheit zum Zugriff, auf den Augenblick, da der Oberoberwichtige sich endlich aus dem Kreise seiner strahlenden Bewunderer befreit hätte, und hasste diese Konkurrenten, die, gewärmt von der Sonne der Macht, überhaupt nicht weichen wollten. Sanft und geduldig wie der Seehund vor dem Loch im Eis, aus dem vielleicht ein Fisch auftauchen wird, wartete er und bereitete in seinem gesellschaftlichen Kopf bereits ein anregendes und amüsantes Gesprächsthema vor, das den Oberoberwichtigen interessieren und ihm selbst Sympathien einbringen könnte. Ab und zu richtete er die Augen auf die Augen des so Begehrten, in der Hoffnung, dieser würde ihn endlich erkennen und ihm von weitem zulächeln, was ihm wiederum gestatten würde, sich ihm ganz natürlich zu nähern und sich mit weiblicher Lüsternheit dem Kreis der anderen Vasallen anzuschließen. Doch die Ranghöheren erkennen selten die Niedrigergestellten.

    Da alle Niedrigergestellten, künftige, eifrig um Erfolg bemühte Leichname, vage wohlwollendes (»Ach? Sehr interessant, bravo, ich gratuliere Ihnen«) oder zerstreutes (»Vielleicht, ja, in der Tat, ich muss mal darüber nachdenken«) oder feindseliges (»Ich weiß nicht, ich habe keine Zeit gehabt«) Desinteresse bei den Ranghöheren heraushörten, die sie zu verführen trachteten, und es andererseits diesen Ranghöheren nicht immer gelang, ein Gespräch mit einem noch Ranghöheren anzuknüpfen, sei es, weil jener bereits von anderen künftigen Leichnamen mit Beschlag belegt war, die ihrerseits eifrig bemüht waren, von dem noch Ranghöheren sympathisch gefunden zu werden, und bereits planten, ihn zu ihrem nächsten Cocktailempfang einzuladen, sei es wegen des himmelschreienden Mangels an wirklich wichtigen Persönlichkeiten (»Nein wirklich, meine Liebe«, sagten dann gewisse Gäste später zu Hause, »nein wirklich, meine Liebe, das war ja kläglich bei Benedetti, niemand Interessantes, nichts als Nervensägen, wir sollten uns überlegen, den Kontakt abzubrechen«), herrschte eine uneingestandene, aber tiefe Melancholie in dieser von Gelächter und liebenswürdiger Plauderei erfüllten Voliere. Die Lippen waren fröhlich, aber die Augen stets besorgt auf der Suche.

    Die Traurigkeit war jedoch nicht allgemein, denn es gab auch Gleichgestellte, die sich als solche erkannten und Nutzen aus ihren Gesprächen zogen, auch wenn es natürlich ein geringer Nutzen war, der keineswegs jenen aufwog, den ein Gespräch mit einem Ranghöheren eingebracht hätte, aber was konnte man sonst tun? Und so streckten die beiden mutmaßlich Gleichgestellten ihre Fühler aus, tasteten sich, ohne sich etwas anmerken zu lassen, gegenseitig ab und tauschten ganz beiläufig Namen wichtiger Verbindungen aus, um sich über ihre Stellung in der Welt, ihren gesellschaftlichen Rang, wie sie es nannten, zu informieren. War das

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