Die Schöne des Herrn (German Edition)
gerade heute habe die liebe Jeanne sich zum ersten Mal in ihrem Leben verspätet, oh, nicht durch ihre Schuld, aber eben doch ziemlich, es sei bereits zwölf Uhr zehn gewesen, und daher hätten sie erst um zwölf Uhr fünfzehn mit dem Meditieren beginnen können und sich mit zehn Minuten begnügen müssen, was natürlich viel zu kurz gewesen sei und sie ganz durcheinandergebracht habe. Und natürlich habe man sich nicht wie sonst um zwölf zu Tisch gesetzt, sondern erst um halb eins, genau gesagt um zwölf Uhr achtundzwanzig, was wiederum den im Ofen gebackenen Kartoffeln nicht gut bekommen sei, ganz hart und trocken seien sie geworden. Und dadurch habe sie auch ihr Mittagsschläfchen nicht wie gewöhnlich um ein Uhr, sondern erst um ein Uhr fünfunddreißig machen können, was sie ganz konfus gemacht habe, so dass sie nicht mehr gewusst habe, wo ihr der Kopf stehe, weil ihr ganzer Zeitplan durcheinandergekommen sei. Und zu allem Überfluss habe ihr Bäcker nicht die Grissini geliefert, die er immer dienstags und freitags in der Frühe bringen lasse, und sie habe rasch welche von der nächstgelegenen Bäckerei holen lassen müssen, komische Dinger, die ihr gar nicht geschmeckt hätten. Um die Sache zu klären, sei sie dann selbst nach ihrem Mittagsschläfchen zu ihrem Bäcker gegangen, um eine Erklärung zu verlangen, aber er sei nicht dagewesen, und da das Mädchen im Laden ihr keine Erklärung habe geben können, sei sie gezwungen gewesen, auf die Rückkehr des Meisters zu warten. Zuletzt habe sich alles aufgeklärt, es sei die Schuld der neuen Austrägerin, einer Französin mit geschminkten Lippen, gewesen, die dann auch in ihrer Gegenwart einen wohlverdienten Tadel bekommen habe.
»Antoinette, verzeihen Sie mir auch wirklich, dass ich mich verspätet habe?«
»Aber Sie haben sich doch gar nicht verspätet, Emmeline«
»Doch, doch, meine Liebe, ich weiß es nur zu gut. Ich bin um vier Uhr vierzig gekommen, statt um vier, wie ich es Ihnen versprochen hatte. Ich habe mein Wort nicht gehalten, und ich schäme mich dafür. Aber wissen Sie, ich habe im Augenblick ein neues Zimmermädchen, eine kleine Bernerin, die wirklich unmöglich ist.«
Wenn man Frau Ventradour hörte, gewann man den Eindruck, sie sei von einer zwergenhaften Dienerschaft umgeben, denn alle Zimmermädchen, die sie gehabt hatte, wurden unweigerlich als klein beschrieben. Seit Frau Deume sie in der Nähstunde kennengelernt hatte, hatte Frau Ventradour nacheinander eine kleine Spanierin, eine kleine Italienerin, eine kleine Waadtländerin, eine kleine Aargauerin und, die Schuldigste von allen, eine kleine Bernerin – die Ursache ihrer Verspätung – gehabt. Als sie die Aufzählung der Untaten Letzterer beendet hatte, holte sie ihr Riechfläschchen hervor und atmete tief ein. Oh, diese Dienstboten machten einen ganz krank!
»Hör zu, mein Schatz«, sagte Frau Deume, sich mit würdevoller Geste an Adrien wendend, »die liebe Emmeline wird dich sicher entschuldigen, ich werde ihr alles erklären, aber ich denke, deine Frau und du, ihr solltet uns jetzt verlassen. Du hast noch deine Koffer zu packen, und ihr müsst euch beide umziehen, ihr habt gerade noch genügend Zeit. Ich erkläre Ihnen gleich alles, meine Liebe.«
Nachdem Adrien Frau Ventradour, um Eindruck zu schinden, die Hand geküsst hatte, verabschiedete er sich. Er umarmte Herrn Deume und dann Frau Deume, die ihn lange an ihre weiche Brust drückte und ihn bat, so oft wie möglich zu schreiben. »Es können auch kurze Briefe sein, aber deine Mammi will wissen, dass es ihrem Didi gut geht.« Auch Ariane nahm Abschied von den beiden Damen und dem kleinen Alten, der sehr gerührt war, ein Geheimnis mit seiner Schwiegertochter zu teilen. Ja, sie hatten sich bereits vorher im geheimen voneinander verabschiedet! Und sie hatten sich umarmt! Und sie hatte ihm sogar ein Foto von sich geschenkt und ihm empfohlen, es für sich zu behalten und niemand anderem zu zeigen! Er lächelte bei dieser Erinnerung, während Frau Deume, nachdem das junge Paar gegangen war, ihrer lieben Emmeline erklärte, dass Adrien heute Abend mit seiner Frau zum »Galadiner« bei einer hohen Persönlichkeit eingeladen sei und dass er noch heute Nacht »in diplomatischer Mission zu Verhandlungen mit hochgestellten Persönlichkeiten« verreisen müsse.
»Und jetzt, meine Liebe, wenn es Ihnen nichts ausmacht, werden wir uns zu Tisch setzen. Oh, ich weiß, dass wir noch viel Zeit haben, unser Zug fährt erst um sieben Uhr
Weitere Kostenlose Bücher