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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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Leben führte, in Schlafwagen und Luxushotels und mit erlesenen Fressgelagen mit hohen Persönlichkeiten! Wenn man ihn fragte, antwortete er diskret, es handle sich nur um eine einfache Informationsreise, ging jedoch auf keine Einzelheiten ein, um durchblicken zu lassen, dass er mit einer vertraulichen Aufgabe betraut worden war. Nachdem dieses Thema erschöpft war, zeigte er lebhaftes Interesse an der Frage des Tages, nämlich wer denn nun den Leiter der Abteilung für Abrüstung ersetzen würde, der gerade in seinem Land zum Kriegsminister ernannt worden war.
    Zurück in seinem Büro, zündete er sich die teure Zigarre an, die er soeben zur Feier seiner Dienstreise gekauft hatte, nahm mit weit ausholender Geste einen siegesbewussten Zug und beschloss, dass es ihm nicht mehr anstand, sich mit der einfachen Routinearbeit einer Empfangsbestätigung abzugeben, die eines Unterhändlers unwürdig war. Sich keck und frech zeigen, jawohl! Er kaute an seiner Zigarre wie ein Mann der Tat, griff nach der Akte Kamerun und schrieb auf das Weiterleitungsblatt: »Für Herrn Le Gandec. Zur sofortigen Erledigung. A. D.« Sehr gut. Wie spät? Zwei Uhr vierzig. Natürlich noch etwas früh, um schon zu gehen. Ach, verdammt noch mal, schließlich hatte er noch seine Koffer zu packen und, zum Donnerwetter, morgen Abend dinierte er mit dem U.G.S.!
    »Also, gehen wir!«
    Er schloss die Schubladen seines Schreibtisches ab und vergewisserte sich noch einmal, dass sie tatsächlich verschlossen waren, indem er nacheinander an jedem Griff zog und besonders kräftig an denen der Leprastation und des Friedhofs. Darauf erklärte er mit lauter Stimme, um es sich dauerhaft einzuprägen und sich während der drei Monate seiner Dienstreise von aller Besorgnis frei zu fühlen: »verschlossen, fest verschlossen, gesehen, festgestellt und geprüft vom Unterzeichneten«. Gekämmt und gebürstet, setzte er prahlerisch seinen Filzhut schief auf. Schon toll, um zwei Uhr fünfundvierzig das Büro zu verlassen, während diejenigen, die nicht auf Dienstreise geschickt wurden, die sesshaften Sträflinge, über ihren Akten schwitzen mussten! Er warf einen letzten Blick auf den Tisch. Verdammt noch mal, das britische Memorandum!
    »Du gehst mir allmählich auf den Wecker«, sagte er.
    Was tun? Es ebenfalls Herrn Le Gandec schicken, mit der Bitte um Erledigung? Das wäre ein zu starkes Stück, er würde ihn sich zum Feind machen. Aber was sonst, sich wieder hinsetzen, hier eingeschlossen bleiben und Hunderte von Seiten durchackern, wo das Wetter draußen so schön war? Ohne sich die Mühe zu machen, sich hinzusetzen, beugte er sich über die Akte und schrieb auf den Kommentarzettel: »Herr van Vries. Ich habe dieses wichtige Dokument mit lebhaftem Interesse gelesen. Es ist ein vollständiger und zufriedenstellender Bericht über die Lage in Palästina. Folglich könnte er meines Erachtens in seiner Gesamtheit von der ständigen Mandatskommission angenommen werden. A. D.«
    Mit einem unflätigen Wort warf er fröhlich die Akte mit dem britischen Memorandum in den Korb für die Ausgänge und ging davon, ein freier Mann, seinen dicken Spazierstock unter dem Arm, auf Dienstreise geschickt, durchdrungen von seiner Bedeutung, vollkommen glücklich, ein Mann der Gesellschaft und protegiert mit allen Fasern seines Wesens, überwältigt vom Gefühl der Zugehörigkeit zu seiner Kaste und nicht wissend, dass sein Sterben begonnen hatte.

XXXI

    Klein und dick, puppenhafte Lippen, Papageiennase und tote Augen, stürzte die alte Ventradour, als Ariane, die ihr die Tür geöffnet hatte, sie in den Salon führte, auf die liebe Antoinette zu und küsste sie; dann drückte sie schlaff Herrn Deume die Hand und kräftig diejenige des jungen Adrien, der in ihren Augen eine stattliche Erscheinung war. Nachdem sie sich gesetzt hatte, zupfte sie ihre kameengeschmückte Bluse zurecht, deren Spitzenkragen von Stäbchen gestützt wurde, schöpfte Atem, entschuldigte sich für die Verspätung und erzählte von den schrecklichen Abenteuern, die ihren Tag ganz durcheinandergebracht hatten.
    Zunächst sei heute Morgen ihre Uhr plötzlich stehengeblieben, genau um neun Uhr zehn, wodurch sie gezwungen gewesen sei, auf ihre Reserveuhr zurückzugreifen, die sie nicht gewohnt sei. Und dann die liebe Jeanne Replat, die jeden Freitag um Punkt elf Uhr komme, weil sie die Gewohnheit hätten, gemeinsam vor dem Mittagessen eine religiöse Meditation von mindestens einer halben Stunde abzuhalten, aber

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