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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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weniger; es ist fast unmöglich, eine zu finden, denn diese jungen Damen suchen ja keine Stellungen mehr, sie arbeiten lieber in der Fabrik, sie fühlen sich nicht mehr zur Nächstenliebe berufen, denn schließlich hat eine Person, die einen anständigen Haushalt führt und das moralische Bedürfnis empfindet, gut bedient zu werden, doch wohl auch Anspruch auf Nächstenliebe, will mir scheinen.«
    Dann sang Frau Deume das Lob auf ein Fräulein Malassis aus Lausanne, »eine gute Partie, die Wohnung ihrer Eltern hat vierzehn, nein, sechzehn Fassadenfenster, und natürlich ist sie auch moralisch einwandfrei«. Anschließend beschrieb sie den Glanz der Kanakis, der Rassets und des Herrn Untergeneralsekretärs. Als die liebe Emmeline sich schließlich erkundigte, wie das Diner mit diesem Herrn vom Völkerbund verlaufen sei, stellte sich die liebe Antoinette taub, hütete sich, auf die Einzelheiten einzugehen, und begnügte sich mit der Feststellung, es handle sich um eine hervorragende Persönlichkeit und es habe ihr ein großes Vergnügen bereitet, mit ihm zu sprechen, ohne allerdings dazuzusagen, dass dieses Gespräch nur am Telefon stattgefunden hatte.
    Endlich kam man auf das Lieblingsthema, nämlich das Leben und Treiben der diversen Königinnen, deren täglichen Zeitplan sie genauestens kannten, ihre Toiletten, die Stunde ihres Aufstehens bis hin zu der Zusammensetzung des Frühstücks, das im allgemeinen mit einer Pampelmuse begann. Sie fingen mit Königin Marie-Adelaide an, ihrer Lieblingskönigin, deren Kinder so bezaubernd waren. Bezaubernd war auch das Interesse, das diese Königin Pferden und Pferderennen entgegenbrachte, denn das war ja so vornehm!
    »Und außerdem«, sagte Frau Deume, nachdem sie das letzte Viertel ihres Apfels mit einem höllischen, vor Egoismus berstenden Geräusch zerkaut hatte, »beherrscht diese liebe Marie-Adelaide die hohe Kunst, sich stets lächelnd, einfach und natürlich zu zeigen, sie ist eine Persönlichkeit, die man einfach lieben muss, nicht wahr? Angeblich hebt sie manchmal eine Ecke ihres Vorhangs, um sich die vorbeigehenden Leute aus dem Volk anzusehen, und wie es scheint, versucht sie sich das Leben der Leute aus einem anderen Mijöh vorzustellen, um mit ihnen zu fühlen, denn sie interessiert sich so sehr für die einfachen Leute! Das ist doch höbsch, nicht wahr? Es gibt da eine wirklich höbsche Anekdote über ihren Sohn George, also den Ältesten, der jetzt acht Jahre alt ist, mein Gott, wie die Zeit vergeht, es kommt mir vor, als sei es erst gestern gewesen, dass er noch in seiner prächtigen Wiege mit dem königlichen Wappen lag, ja, also der kleine Prinz George, Sie wissen ja, der mit dem Lockenhaar, der bei seiner Volljährigkeit König sein wird, und sie natürlich Regentin seit dem Tod des Königs, also, der kleine Prinz George soll, als er eines Tages am Bahnhof auf den Zug gewartet hat, der ihn zu einem ihrer herrlichen Schlösser in der Provinz bringen sollte, plötzlich vollkommen vergessen haben, wer er war, und angefangen haben, auf dem Bahnsteig wie ein ganz gewöhnliches Kind herumzulaufen, ist das nicht süß? Und dann hat er den Bahnhofsvorsteher gesehen, mit seiner Flagge, mit der er einem anderen Zug das Signal zur Abfahrt geben wollte, und da hat er zu ihm gesagt: ›Bitte, darf ich die Flagge schwenken?‹ Ja, er hat ›bitte‹ gesagt, ist das nicht goldig von so einem kleinen Prinzen? Der Bahnhofsvorsteher war bestürzt oder eher verlegen, denn um nichts in der Welt darf er die Flagge jemand anderem überlassen, weil das gegen die Vorschriften ist, aber dann hat er sich gesagt, was soll’s, er ist ein Prinz, und hat dem kleinen Prinzen seine Flagge gegeben, und angeblich hat der kleine Prinz nicht gewusst, wie die Flagge geschwenkt werden muss! Das war so rührend! Alle Leute hatten Tränen in den Augen! Und noch ein weiteres goldiges Abenteuer des kleinen Prinzen. Einmal trat er aus dem Königspalast, und da seinem Blick nichts entgeht, das Auge des Herrn, wie man sagt, hat er gesehen, dass die Schnürsenkel am Schuh einer der Palastwachen aufgegangen waren, und er hat ihn darauf aufmerksam gemacht, und der Wachsoldat soll ihm geantwortet haben, ›es tut mir furchtbar leid, Monseigneur‹, ja, denn man redet ihn mit Monseigneur an, obwohl er erst acht ist, ›es tut mir furchtbar leid, Monseigneur, aber ich habe nicht das Recht, mich zu bücken, ich habe nicht die Erlaubnis, denn ich muss in Habachtstellung bleiben!‹ Und daraufhin soll sich

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