Die Schöne des Herrn (German Edition)
Meinung nach noch fehlt, wäre ein Hauch Lippenstift.«
»Das mag ich nicht«, sagte sie, ohne sich umzudrehen. »Ich schminke mir nie die Lippen.«
»Nur ausnahmsweise, Liebling, wo wir doch ausgehen. Nur einen Hauch.«
»Ich habe gar keinen Lippenstift.«
»Da habe ich vorgesorgt, Liebling. Ich habe dir mehrere Lippenstifte besorgt, damit du dir den aussuchen kannst, der dir am besten gefällt. Hier sind sie.«
»Nein danke. Dieses Kleid liegt in den Hüften zu eng an.«
»Aber nicht im geringsten, Liebling.«
»Außerdem ist es ein Ballkleid und kein Kleid für ein Diner.«
»Das macht nichts, es ist so hübsch. Du hast es noch nie getragen, und das ist sehr schade, denn es steht dir wirklich gut.«
»Ich fühle mich nicht wohl darin.«
»Warum nicht?«
»Zu dekolletiert. Unanständig.«
»Aber durchaus nicht, das kann ich dir versichern. Es ist dekolletiert wie alle dekolletierten Kleider, es ist sehr festlich, das ist alles.«
»Schön, ich behalte das unanständige Kleid an, da du es befiehlst.«
»Ich finde dich phantastisch in diesem Kleid«, sagte er, um sie in gute Stimmung zu versetzen.
In ihre lautlosen weiblichen Vorbereitungen vor dem Spiegel vertieft, hörte sie ihn nicht, trat einen Schritt zurück und wieder vor, fuhr sich ganz überflüssigerweise mit den Händen über die Hüften, setzte einen ihrer Pumps einen Schritt vor, hob das Kleid ein wenig, um mit gerunzelter Stirn und Schmollmund zu prüfen, ob es eine Idee kürzer nicht besser gewesen wäre, und gelangte zu dem stummen Schluss, die Länge sei letzten Endes doch genau richtig, nicht zu lang und nicht zu kurz. Er bemerkte, dass ihre Beine nackt waren, hütete sich jedoch, etwas zu sagen. Schließlich wollte er nicht zu spät ins Ritz kommen. Außerdem waren ihre Beine so glatt, dass der Boss nichts merken würde. Jedenfalls sah sie phantastisch aus in diesem Kleid und war zum Gehen bereit, was das Wichtigste war. Ein neues Adjektiv fiel ihm ein, und er benutzte es sofort.
»Weißt du, du siehst wahrhaft königlich aus.«
»Meine Brüste sind zur Hälfte entblößt«, sagte sie, während sie ihrem Mann immer noch den Rücken zukehrte, ihn aber im Spiegel anblickte. »Eigentlich sind nur die Spitzen verdeckt. Macht dir das denn gar nichts aus?«
»Aber Liebling, erstens sind sie gar nicht zur Hälfte entblößt. Höchstens zu einem Drittel.«
»Wenn ich mich beuge, sieht man die Hälfte.«
»Du musst dich ja nicht beugen. Und außerdem ist das große Dekolleté bei Abendkleidern erlaubt.«
»Und wenn es erlaubt wäre, alles zu zeigen, wäre dir das auch recht?«, fragte sie und hatte im Spiegel wieder diesen direkten, männlichen Blick.
»Aber Liebling, um Himmels willen, was sind das für Fragen?«
»Ich will die Wahrheit wissen. Wünschst du, dass ich sie herausnehme, wenn ich vor diesem Herrn stehe?«
»Ariane!«, rief er entsetzt. »Wie kannst du nur so etwas Schreckliches sagen?«
»Schön, zeigen wir ihm also nur die obere Hälfte«, sagte sie spitz. »Die erlaubte und anständige Hälfte.«
Es trat ein Schweigen ein, und er senkte den Blick. Warum sah sie ihn fortwährend so direkt an? Mein Gott, auf den elegantesten Bällen trugen die vornehmsten Frauen ja auch dekolletierte Kleider. Also? Am besten wäre es, das Thema zu wechseln, zumal es bereits sieben Uhr zweiundvierzig war.
»Gehen wir, Liebste? Wir kommen gerade noch zurecht.«
»Gut, ich gehe mit meinen Halbkugeln.«
»Sag, du wirst doch nett zu ihm sein?«, fragte er nach einem gekünstelten Hüsteln.
»Was soll ich denn mit ihm tun?«
»Einfach ein bisschen nett sein, das ist alles, am Gespräch teilnehmen, na ja, eben liebenswürdig sein.«
»Nein, entschieden nein, ich werde nicht gehen«, sagte sie lächelnd in den Spiegel.
Mit einem plötzlichen Schwung ihres Kleides drehte sie sich um. Er blickte sie mit offenem Mund an, und sein Gesicht war blass vor Entsetzen. Zweitausend Franken, zweitausend Franken für das Zigarettenetui, und jetzt das!
»Aber warum nicht, um Gottes willen, warum nicht?«
»Weil ich keine Lust habe, ein bisschen nett zu sein.«
»Liebling, ich flehe dich an! Verdirb mir nicht dieses Diner! Wie sehe ich denn aus, wenn ich allein komme? Liebling, meine ganze Karriere steht auf dem Spiel! Es ist vierzehn Minuten vor acht, tu mir das bitte nicht im letzten Augenblick an! Um Himmels willen, hab doch Mitleid! Komm zu dir!«
Sie betrachtete diesen Mann mit dem kümmerlichen Bart in seinem zu engen Smoking, der sie mit
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