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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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aber verehre, wahnsinnig stolz auf meinen Gott, den Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs, und ich erschauere bis ins Mark, wenn ich Seinen Namen und Sein Wort vernehme.
    Und jetzt hören Sie das Wunder. Der Niedertracht, die sie umgab, überdrüssig, floh sie aus dem lärmenden Saal der Sucher von Beziehungen und verbannte sich freiwillig in den leeren kleinen Salon nebenan. Sie, das sind Sie. Freiwillig verbannt wie ich, und sie wusste nicht, dass ich sie hinter dem Vorhang beobachtete. Und nun hören Sie, sie näherte sich dem Spiegel des kleinen Salons, denn sie ist eine Spiegelnärrin wie ich, Narrheit der Traurigen und Einsamen, und dann, allein und sich unbeobachtet wähnend, näherte sie sich dem Spiegel und küsste ihre Lippen auf dem Glas. Unser erster Kuss, meine Liebe. O meine närrische Schwester, sogleich geliebt, sogleich meine Geliebte durch diesen Kuss, den sie sich selbst gab. O ihre hohe schlanke Gestalt, o ihre langgeschwungenen Wimpern im Spiegel, und meine Seele hat sich an diese langgeschwungenen Wimpern geheftet. Ein Schlag der Lider, die Zeit eines Kusses auf einen Spiegel, und sie war es, sie auf ewig. Nennen Sie mich verrückt, aber glauben Sie mir. Ja, so war es, und als sie in den großen Saal zurückkehrte, näherte ich mich ihr nicht, sprach nicht mit ihr, wollte sie nicht wie die anderen behandeln.
    Noch etwas Wunderbares von ihr, hören Sie. Eines Spätnachmittags, Wochen danach, folgte ich ihr entlang des Sees, und ich sah, wie sie stehenblieb, um zu einem alten angeschirrten Pferd zu sprechen, und sie sprach ernsthaft mit ihm und fürsorglich, meine närrische Schwester, wie zu einem Onkel, und das alte Pferd nickte weise mit dem Kopf. Dann fing es an zu regnen, und daraufhin suchte sie in dem Karren, holte eine Plane heraus und bedeckte damit das Pferd mit den Gesten, ja den Gesten einer jungen Mutter. Und dann, hören Sie nur, dann küsste sie das alte Pferd auf den Hals und sagte zu ihm, muss zu ihm gesagt haben, denn ich kenne meine Geniale, meine Närrische, sagte zu ihm, es tue ihr leid, aber sie müsse es jetzt verlassen, weil man sie zu Hause erwarte. ›Aber sei beruhigt‹, muss sie zu ihm gesagt haben, sagte sie zu ihm, ›dein Herr wird bald kommen, und dann bist du wieder im Trockenen in einem guten warmen Stall. Leb wohl, mein Lieber‹, muss sie zu ihm gesagt haben, sagte sie zu ihm, denn ich kenne sie. Und dann ging sie, mit Mitleid im Herzen, Mitleid für dieses gehorsame alte Tier, das stets lief, ohne aufzumucken, lief, wie sein Herr es ihm befahl, das bis nach Spanien laufen würde, wenn sein Herr es von ihm verlangte. ›Leb wohl, mein Lieber‹, sagte sie zu ihm, ich kenne sie.
    Vom Gedanken an sie besessen, Tag für Tag, seit dem schicksalhaften Abend. O sie, all ihre Reize, o Hochgewachsene mit dem wunderschönen Antlitz, o ihre verschleierten, goldgesprenkelten Augen, ihre zu weit auseinanderstehenden Augen, o ihre nachdenklichen Mundwinkel, ihre von Mitleid und Verständnis schwere Lippe, o sie, die ich liebe. O ihr törichtes Lächeln, als ich sie, hinter dem Vorhang ihres Schlafzimmers verborgen, heimlich beobachtete, ich sah sie an und erkannte sie an ihren Narreteien, Bergsteigerin im Himalaya mit Schottenmütze und Hahnenfeder, Königin der aus einer Schachtel hervorgeholten Tiere, die sich gleich mir an ihren Albernheiten ergötzten, o meine Geniale und meine Schwester, für mich allein bestimmt und für mich geschaffen, und gesegnet sei deine Mutter, oh, deine Schönheit verwirrt mich, o sanfte Narrheit und erschreckende Freude, wenn du mich anblickst, berauscht, wenn du mich anblickst, o Nacht, o Liebe von mir in mir unaufhörlich eingeschlossen und unaufhörlich aus mir herausgenommen und betrachtet und wieder zusammengefaltet und in meinem Herzen verschlossen und bewahrt, o sie in meinem Schlaf, mich liebend in meinem Schlaf, zärtliche Komplizin in meinem Schlaf, o sie, deren Namen ich mit dem Finger in die Luft schreibe oder, in meinen Einsamkeiten, auf ein Blatt Papier, und dann verdrehe ich den Namen, behalte jedoch die Buchstaben und vermenge sie, forme tahitische Namen daraus voller Reiz, Rianea, Eniraa, Raneia, Aneira, Neiraa, Niaera, Ireana, Enaira, all die Namen meiner Liebe.
    O sie, deren heiligen Namen ich auf all meinen einsamen Wegen spreche und auf meinen Runden um das Haus, in dem sie schläft, und ich wache über ihren Schlaf, und sie weiß es nicht, und ich nenne ihren Namen den Bäumen, meinen Vertrauten, und ich sage ihnen,

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