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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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gehörte. Sie blickte ihn an, beinahe glücklich plötzlich, denn solange er schlief, konnte sie ihn voll und ganz lieben, ohne von ihm daran gehindert zu werden.

    Er öffnete die Augen, tat, als sei er eben erwacht, und gähnte. »Die Tochter des Minos und der Pasiphae«, deklamierte er verträumt. »Ich liebe diesen Vers. Von wem ist er?« – »Racine«, sagte sie. »Sie wissen doch, ›Ariane, meine Schwester, von welcher verletzten Liebe‹ …« – »Ach ja, Ariane, natürlich«, sagte der Heuchler. »Ariane, die göttliche Nymphe, die in Theseus verliebt war. Sie war sehr schön, diese Ariane, nicht wahr, schlank und jungfräulich, aber die königliche Nase der großen Liebhaberinnen. Ariane, welch schöner Name, ich bin direkt in ihn verliebt.« Aufgepasst, sie könnte Verdacht schöpfen. Daher erklärte er mit vagen Gesten, dass er mit englischen Delegierten im Donon viel Champagner getrunken habe. »Ja, ein bisschen beschwipst«, sagte er, zärtlich und zufrieden lächelnd, in Gedanken bei der, die dort in Cologny schlief. Sie küsste ihn, und er hatte Angst, brachte die Lippen in Sicherheit. »Sie sehen müde aus«, sagte sie, »ich werde Sie ausziehen und zu Bett bringen, ich werde Ihnen die Füße massieren, damit Sie besser einschlafen können, einverstanden?«

    Am Fußende des Bettes sitzend, massierte sie ihm die Füße. Daliegend, betrachtete er sie, die Augen halb geschlossen. Die stolze Isolde, Gräfin Kanyo, eine einfache Fußmasseurin jetzt und zufrieden damit. In ihrem Morgenrock arbeitete sie gewissenhaft, wechselte die Handgriffe wie eine Professionelle, knetete, rieb, strich sanft und ging zu den Zehen weiter, die sie mit zwirbelnden Griffen behandelte. Eine gute Massage, das war jetzt der Stolz dieser Bedauernswerten, die sogar Massageunterricht genommen hatte, um ihm besser dienen zu können.

    Ganz in ihre Aufgabe vertieft, eifrige Dienerin, sich unterbrechend, um etwas Talkum zu nehmen, massierte sie ihn ausdauernd, während er, die Augen erneut geschlossen, die lebhafte, die im Tanz sich drehende, die sonnige, seine Ariane vor sich sah. In einem Anflug von Reue biss er sich auf die Lippe. Sollte er sie auffordern, sich neben ihn zu legen, und versuchen, sie auf den Mund zu küssen, sie also nicht wie eine Masseurin behandeln? Nachher vielleicht. Jetzt fehlte ihm der Mut dazu. Der arme gute Liebling. Ja, er liebte sie wie eine Mutter, und sie widerte ihn an wie eine Mutter. Dabei hatte er sie einmal begehrt. Fünfundvierzig war die Arme jetzt oder noch älter. Die Haut am Hals grobporig, ein wenig schlaff. Und die Brüste hingen. »Massiere ich Sie gut?« – »Ja, Liebling, sehr gut.« (Hinzufügen, dass es wunderbar sei? Nein, sehr gut genügte. Wunderbar für später aufbewahren.) »Soll ich sie Ihnen mobilisieren?« – »Ja, Liebling, das wäre wunderbar.«

    Und die Mobilisation begann. Während ihre linke Hand den Knöchel hielt, unterzog sie den nackten Fuß mit der rechten ebenso kunstvollen wie nutzlosen Verrenkungen und mobilisierte ihn ausdauernd, auf den Lippen ein leichtes mechanisches Lächeln der Anstrengung oder vielleicht des Stolzes, weil er gesagt hatte, es wäre wunderbar. Er wiederum schämte sich, hasste seinen Fuß und empfand Mitleid mit dem edlen Gesicht, das sich eifrig über diese unsympathische Extremität neigte, die so albern war mit ihren fünf Zehen und eine solche Hingabe gar nicht verdiente. Sie jedoch wurde nicht müde zu mobilisieren, die arme Entehrte in ihrem wunderschönen, von Talkumpuder befleckten Morgenrock. Sollte er sie bitten aufzuhören? Aber was sollten sie dann tun?

    Sie hob ihre mandelförmigen, ein wenig mongolischen, so sanften, so gütigen Augen. »Jetzt der andere Fuß, nicht wahr?« – »Ja, mein Liebling«, sagte er, froh über das »mein«, das etwas Abwechslung brachte, und er legte sogar noch nach: »Ja, Liebste«, fügte er hinzu. Sie lächelte, dankbar für dieses letzte Wort, das sie befriedigender als »Liebling« fand. Die Arme begnügte sich mit der geringsten Krume, schnappte sie mit ihrer ganzen Seele und labte sich daran. Oh, könnte er ihr doch die Worte der Zärtlichkeit sagen, die seine Lippen bestürmten! Aber nein, sie massierte schweigend und erwartete Worte der Liebe. Erwartete sie wie eine diskrete Gläubigerin, und er fand kein einziges, das echt klang. Ach, es wäre so einfach, wenn er sie wenigstens begehren würde. Dann wären keine Worte notwendig. Er könnte sie wortlos nehmen, und alles wäre gut,

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