Die Schöne des Herrn (German Edition)
Hühner gestern: aufgeplustert, misstrauisch, lästerzüngig und ständig an ihre Leibrenten denkend. Und ihre Beschreibung der verletzten Kröte, die sie im Keller gepflegt hatte. Er erinnerte sich an alles, was sie ihm über diese Kröte erzählt hatte: das schöne goldene Filigran ihrer Augen, ihr bezaubernder, schüchterner und doch so zutraulicher Blick, voller Dankbarkeit, wenn sie mit ihr sprach, und so niedlich, wenn sie fraß und dabei ihre Finger benutzte. Und als sie ihm vom Quaken der Kröten erzählt hatte, hatte sie gesagt, es sei ein durchdringendes, sehnsuchtsvolles Quaken, der Ruf einer Seele. Und als sie eines Tages einen Spatz auf dem Blitzableiter der Villa bemerkt hatte, der ganz vergnügt vor sich hin gezwitschert hatte, hatte sie gesagt, er rufe seinen kleinen Freunden zu, dieser Blitzableiter sei ein richtiges Sofa, auf dem man wunderbar bequem sitze. Und die Leidenschaft ihrer Küsse. Wohingegen diese hier, diese Vorleserin, ihn, wenn er sie aus Mitleid leicht berührte, sofort mit einem Madonnenblick ansehen würde. Und außerdem hatte er bemerkt, dass sie in einen Schönheitssalon ging, um sich das Gesicht desincrustieren zu lassen. Was das wohl war, diese Desincrustation? Vielleicht zog ihr das kleine Würmer aus den Poren. Ariane dagegen, ihre reinen Wangen, der bezaubernde Bogen ihrer Lippen, und kein Rouge wie bei der hier, die nicht aufhörte, seine Füße zu martern mit Händen, deren Fingernägel geschminkt waren, Krallen fast, blutige Krallen. Ariane, ihr kindliches Entzücken, wenn er ihre Schönheit pries, und ihr Mund wurde dann perfekt wie vor dem Fotografen. Am Abend der Sauerampfersuppe ihr Stolz, ihn zu bekochen. Und an dem Nachmittag, als er zu Pferd gekommen war, war sie ihm, dermaßen glücklich über den unverhofften Besuch, mit einem zu strahlenden Lächeln entgegengelaufen, einem lächerlichen Lächeln, so breit und aufrichtig, dass es schon drollig wirkte, das Lächeln eines überglücklichen Kindes, das im siebten Himmel ist, oder eines tolpatschigen guten Geistes, der sich nicht beherrschen kann und vor Freude alle Würde vergisst. Wann würde die hier endlich aufhören, seine Füße zu quälen?
»Soll ich weiterlesen?« – »Ja, Liebling.« – »Und massieren?« – »Ja, Liebling.« Und wenn sie zu zärtlich wurde, die Tricks, um ihr zu entgehen. Der beste war die vorgetäuschte Gallenkolik. Wie sie dann auflebte, aufblühte, weil sie dienen konnte, eifrigst bemüht, ihm schrecklich heiße Kompressen aufzulegen, die sie alle paar Minuten im Badezimmer erneuerte und im Laufschritt anbrachte. Und wie stolz sie war, wenn er es, die Haut verbrüht und krebsrot, nicht mehr aushielt und ihr sagte, er habe keine Schmerzen mehr. Im Grunde bestand das einzige Glück, das er ihr zu bieten vermochte, darin, sie zu überzeugen, dass sie ihm nützlich war. Jedes Mal also, wenn er sie besuchte, den Kranken spielen. Das beschäftigte sie und vertrieb die Zeit ohne Gefahr für ihn. Beim nächsten Mal würde er es zur Abwechslung mit Rheuma in der Schulter versuchen. Er sah sie bereits zum Apotheker eilen und außer Atem mit antirheumatischen Salben zurückkehren. Oh, könnte er sie doch ohne Furcht auf die Wange küssen und ihr von Ariane erzählen, ihr alles gestehen, Ariane mit ihr teilen. Aber nein, sie wollte ihn für sich, ihn für sich vereinnahmen. Genug jetzt. Sie hatte sich zur Genüge an seinen Füßen vergriffen.
»Keine Massage mehr?«, fragte sie, als er seinen Fuß zurückzog. »Nein, Liebling.« – »Sie sollten jetzt schlafen, es ist so spät. Damit Sie sich richtig ausruhen können, lasse ich Ihnen das ganze Bett, ich werde in dem kleinen Zimmer schlafen.« Er wusste, dass diese Worte in der Hoffnung gesagt worden waren, er würde sie zum Bleiben auffordern, sie bitten, bei ihm zu schlafen. Unmöglich. Nie mehr. Aber wenn er sie alleine schlafen ließe, würde sie sich grämen, und morgen früh hätte sie geschwollene Augenlider. Also fort von ihr. Aber wohin? Zu seiner kleinen Freundin Edmée und ihr von Ariane erzählen? Nein, zu grausam, einer armen Zwergin, die obendrein noch in der Heilsarmee war, von seiner schönen Liebe zu erzählen. Tja, dann also ins Ritz zurückfahren, allein und elend, armer Solal. Er sagte ihr, er habe noch eine dringende Arbeit für Sir John zu beenden, und außerdem warte das Taxi draußen. Er zog sich an und küsste sie auf die Wange. Da er spürte, dass sie einen zweiten Kuss erwartete, täuschte er rasch einen Hustenanfall
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