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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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denn nichts beruhigte sie mehr. Doch leider konnte er ihr nur Worte geben. Eine Fehlentwicklung das System Mann. Endlich entschloss er sich und machte ein feierliches Gesicht. »Liebste, hör mir zu. (Sie unterbrach ihre Massage und blickte auf, rührender als ein Hund, der ein Stück Zucker erwartet.) Liebste, ich muss dir sagen, dass ich dich mehr liebe, viel mehr als früher.« Vor Scham schlug er die Augen nieder, was Isolde beeindruckte und sie überzeugte. Sie beugte sich vor, küsste den nackten Fuß und nahm ihre Massage glücklich wieder auf, die arme Betrogene. O die Unglückliche, die ihm etwas Gutes zu tun glaubte, indem sie seine Füße marterte. Glücklich, ja, aber die Wirkung der Worte hielt nicht lange an. Morgen würde er andere, überzeugendere finden müssen. Und außerdem ersetzten die Worte nicht das Übrige, das sie erwartete, das verdammte Übrige, den einzigen unwiderleglichen Beweis. Aber wie sollte er das Übrige tun, bei dieser schlaff am Hals hängenden Haut? Fluch des Fleisches. Ja, auch er liebte das Fleisch.

    Sie blickte auf und fragte ihn, woran er denke. »An dich, Ise.« Was sollte er sonst sagen? Sie hörte mit dem Massieren auf und nahm seine Hand. Da er die Gefahr spürte, hielt er ihr den Fuß hin. Also machte sie sich wieder ans Werk, nahm sich aber kurz darauf die Wade vor. Gefahr. Was tun? Über Politik reden? Zwei Uhr früh war nicht der richtige Augenblick dafür. Jetzt war sie beim Knie, und nicht von ungefähr. Tragisch, diese Komödie. Und das Komischste war, dass dieses Bedürfnis, von ihm genommen zu werden, moralisch war. Sie wollte wissen, dass er sie liebte, wollte ganz sicher sein. Verfluchtes System Mann, und der Wunsch nach Güte änderte nichts an diesem System. »Noch einmal den Fuß, Liebling, ja, lieber den Fuß, das entspannt mich so. (Womit könnte er sonst noch die Gefahr bannen? Der Roman, ja. Auch wenn es um zwei Uhr früh eine sonderbare Bitte war.) Liebste, ich würde mich sehr freuen, wenn du mir weiter aus dem Roman von neulich vorlesen würdest, es war so interessant, und ich liebe es, wenn du mir vorliest. Du liest so gut«, fügte er hinzu, um sie vollends zu überzeugen.

    Das Buch in der linken Hand, den nackten Fuß mit der rechten knetend, gab sie sich alle Mühe, gut zu lesen, indem sie ihren Akzent verbarg und dem Dialog dadurch Lebendigkeit verlieh, dass sie je nach Person den Tonfall wechselte. Er bekam Zahnschmerzen davon. Sie bitten aufzuhören? Aber dann drohte wieder die Gefahr! Diese Mischung aus ungarischem und englischem Akzent war unerträglich. Natürlich, wenn die andere mit ungarischem Akzent spräche, würde er es reizend finden. Ihr vorschlagen, ins Kino zu gehen? Da musste er allerdings während der Pausen mit ihr sprechen. Übrigens konnte man nicht um zwei Uhr früh ins Kino gehen. Das erwartete ihn also von nun an, wenn er sie am Nachmittag besuchen käme, denn die Abende waren der anderen vorbehalten, die von nichts wusste, das arme Ding, das erwartete ihn also, die Kinos und ihre Pausen, in denen er reden musste, oder weiterhin die Fußmassage, das Romanvorlesen, die Suche nach neuen Liebesworten, die Angst, sie nicht begehren zu können, und ständig ihre Erwartung zu spüren, ihr demütiges stummes Verlangen. Und er die ganze Zeit schuldbewusst, die ganze Zeit voller Mitleid. Mitleid, wenn sie ihm ihre ungarischen Lieder vorsang, immer die gleichen, die er schon auswendig kannte. Mitleid um fünf Uhr nachmittags, wenn sie ihm vorschlug, beim Dienstmädchen den Tee zu bestellen, es mit einer seltsam naiven Hoffnung vorschlug, mit unheilbarem Optimismus, als ob der Tee wie durch einen Zauber Leben in diesen Tod bringen würde, den sie nicht sehen wollte. Ihr armer, absurder Glaube an das Wunder des gemeinsam getrunkenen Tees, während sie »plauderten«, wie sie es ausdrückte, um Leben vorzutäuschen. Aber worüber plaudern? Er wusste alles von ihr. Er wusste, dass sie eine Vorliebe für die englischen Romanschriftstellerinnen hatte, für jene verträumten, anständigen, vornehmen, phlegmatischen, langsamen, charmanten Nervensägen, kurz, jene gutbürgerlichen Damen der
upper middle class
. Er wusste auch, dass sie eine Menge unbekannter Blumen liebte und einen Bach, der nicht Johann Sebastian, aber ebenso roboterhaft war.

    »Jetzt den anderen Fuß, Liebling.« Ja, gütig und sanft, aber schwermütig und völlig talentlos. Oh, seine Ariane dagegen, fröhlich, ein bisschen verrückt, unberechenbar. Ihr Satz über die

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