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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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sie ihn jeden Abend erwartet, ohne zu wissen, ob er kommen würde, sich jeden Abend für ihn angezogen, ohne zu wissen, ob er kommen würde, jeden Abend die Villa vorbildlich für ihn hergerichtet, ohne zu wissen, ob er kommen würde, jeden Abend am Fenster auf ihn gewartet, ohne zu wissen, ob er kommen würde. So, und jetzt war es aus. Und warum? Weil diese beiden Beutel dort oben weniger prall waren als die jener anderen Frau. Und als er krank gewesen war, die durchwachten Nächte, auf dem Boden verbracht, auf dem Teppich, neben seinem Bett. Könnte die andere ihn pflegen? Sie anrufen, diese Frau, ihr sagen, dass er allergisch auf Pyramidon und Antipyrin reagiert? Ach was, sollen sie doch sehen, wie sie zurechtkommen. Gewiss, er empfand noch Zärtlichkeit für sie, er tat sein Bestes während der seltenen Male, die er noch kam, er machte ihr Komplimente über ihre Eleganz, interessierte sich für ihre Kleider, sprach von ihren schönen Augen. Alle alten Frauen hatten schöne Augen, das war ihre Spezialität. Von Zeit zu Zeit ein Kuss auf die Wange oder sogar auf die Schulter, durch das Kleid hindurch. Stoff erregte ja keinen Ekel. Küsse für Alte. Zärtlichkeiten für Alte. Im Grunde ekelte er sich vor ihr. Der Arme, er war so verlegen gewesen, als er schließlich hatte einräumen müssen, dass es eine andere gab, so betrübt, ihr weh zu tun. Betrübt, aber noch am selben Abend echte Küsse für die andere.

    Erneut vor dem Spiegel, bewegte sie ihre Brüste. Hopp nach rechts, hopp nach links! Baumelt nur, ihr Greise! Zu früh geboren, das war es. Ihr Vater hatte es zu eilig gehabt. Und dann die Tränensäcke unter den Augen, die schlaffe Haut unter dem Kinn, das trockene Haar, die Cellulite und all die anderen Beweise der Güte Gottes. Sie knöpfte das Kleid wieder zu, setzte sich auf den Koffer und lächelte dem Mädchen zu, das sie gewesen war, ohne Cellulite, ganz frisch, ein wenig furchtsam, erschrocken über ein Bild in einem teuren Buch, das einen Neger darstellte, der hinter einem Baum lauerte. Am Abend in ihrem Bettchen schloss sie, wenn sie zu dem Neger kam, schnell die Augen und blätterte die Seite um. Das kleine Mädchen wusste ja nicht, was es erwartete. Im Grunde hatte das, was ihr jetzt geschah, bereits im voraus existiert und auf sie in der Zukunft gewartet.

    Sie legte die offenen Hände unter ihre Brüste und hob sie an. Ja, so waren sie früher gewesen. Sie ließ sie wieder fallen und lächelte ihnen zu. »Die Armen«, sagte sie leise. Der Füllfederhalter, den sie ihm geschenkt hatte, wahrscheinlich schrieb er damit jetzt an diese Frau. Ariane, meine Einzige. Natürlich seine Einzige, denn ihre Milchdrüsen waren ja noch in gutem Zustand. Es wird auch dich treffen, meine Kleine. Widerlicher alter Leib, auch sie ekelte er an. Auf den Friedhof, in ein Loch mit diesem alten abscheulichen Leib! »Widerliche Alte«, sagte sie zum Spiegel, »warum bist du alt, sag, widerliche Alte? Dein gefärbtes Haar täuscht niemanden mehr!« Sie schnäuzte sich und empfand eine Art von Befriedigung dabei, sich im Spiegel zu betrachten, entehrt, auf einem Koffer sitzend, sich schnäuzend. Los, aufstehen, zeigen, dass du lebst, telefonieren.

    Im Taxi hin und her geschleudert, blickte sie auf ihre Hände. Zum ersten Mal war sie ausgegangen, ohne sich gewaschen zu haben. Widerlich, dachte sie lächelnd. Nicht die Kraft gehabt, man fühlte sich so allein, wenn man sich einseifte, wenn man sich abtrocknete. Und wozu auch? So, jetzt war es da, das war das Unglück. Bestraft für das Verbrechen des Altwerdens. Sie näherte ihr Gesicht dem Fenster. Versoix. Diese Leute da draußen waren schon mitten im Leben, gingen schnell, gewaschen, und jeder mit einem Ziel. Auch die Junge hatte ein Ziel, sie würde ihn heute Abend sehen. Los, bereite dich für den Abend vor, seife dich gut ein, damit du nicht stinkst. Auch ich habe all das drei Jahre lang für ihn getan, jeden Tag. Er würde traurig sein, wenn er den Brief liest, aber das würde ihn nicht daran hindern, heute Abend zu. Die beiden Zungen, die sich bewegten, widerlich. Sie öffnete und schloss den Mund, um die teigige Bitterkeit zu spüren, hatte Lust auf Tee. Im Grunde blieben ihr ja noch Interessen im Leben. Eine Tasse Tee, ein schönes Buch, Musik. Nein, falsch. O dieses abscheuliche Bedürfnis, geliebt zu werden, dieses Bedürfnis in jedem Alter. Was wird später in Pont-Céard sein? Die Möbel, ihre Habe, wer würde sich darum kümmern?

    Creux-de-Genthod. Tauben

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