Die Schöne des Herrn (German Edition)
Morgen mit Chininwasser eingeriebenen Haare kämmte.
Kämpferischen Schrittes ging er zurück. Vor dem Büro seines Vorgesetzten van Vries unterließ er es nicht, diesem leise und in höchst unvornehmen Worten mitzuteilen, er sei ein Mistkerl und der Sohn einer liederlichen Frau. Selbstzufrieden stieß er dieses erstickte Lausbubenlachen aus, ein Lachersatz, Kondensat und Symbol des Lachens, das darin besteht, mit geschlossenen Lippen durch die Nase zu prusten. Dann stieg er wie am Vortag in einen der Paternoster, diese türlosen Aufzüge, die in ständiger Auf- und Abwärtsbewegung waren und den sich langweilenden Beamten eine willkommene Zerstreuung boten. Im fünften Stock stieg er aus und nahm den abwärts fahrenden Aufzug. Im Erdgeschoss stieg er mit der Miene des vielbeschäftigten Beamten aus und nahm den, der hinauffuhr.
***
In seinen Käfig zurückgekehrt, beschloss er, die verlorene Zeit einzuholen. Um sich in Schwung zu bringen, führte er gewissenhaft die Bewegungen der Atemgymnastik aus. (Er liebte sich sehr und war stets bestrebt, seine teure Gesundheit zu vervollkommnen, nahm gern Stärkungsmittel ein, die er alle paar Wochen wechselte, und das letzte war stets um ein Vielfaches wirksamer als das schnell vergessene vorletzte. So nahm er zur Zeit ein englisches Tonikum, auf das er große Stücke hielt. »Dieses Metaton ist großartig«, erklärte er seiner Frau, »ich bin wie umgewandelt, seit ich es nehme.« Zwei Wochen später gab er das Metaton zugunsten eines wunderwirkenden Vitaminpräparates auf. Die kaum veränderte Formel hieß nun: »Dieses Vitaplex ist großartig, ich bin wie umgewandelt, seit ich es nehme.«)
»Ausgezeichnet«, sagte er, als er zum zwanzigsten und letzten Mal ausatmete. »Ich gratuliere, mein Lieber. Und jetzt an die Arbeit, mein Alter!«
Aber vorher noch einen Blick in die
Tribune
, um sich auf dem laufenden zu halten. Der alte Amtsdiener war gut dressiert und brachte ihm jeden Tag um vier Uhr die
Tribune
und
Paris-Soir
. Tja, so war er nun mal, er wusste sich Gehorsam zu verschaffen! Er öffnete die Genfer Abendzeitung und murmelte die Überschriften vor sich hin. Belgische Wahlen, neuer Sieg der Rexisten. Sehr gut. Degrelle war ein großartiger Kerl. Ja, mit Degrelle, der Belgien bald von der jüdisch-freimaurerischen Mafia befreien würde, fühlte er sich im Geiste verwandt. Diese Juden sind wirklich zersetzend. Dieser Freud mit seinen blödsinnigen Theorien, die einen völlig irre machen! So, aber jetzt an die Arbeit!
Er setzte sich an seinen Schreibtisch und füllte Benzin in sein Feuerzeug, das es gar nicht nötig hatte, denn erst gestern hatte er es gefüllt, aber er liebte diesen kleinen Gefährten, und es bereitete ihm Vergnügen, ihm alle Pflege angedeihen zu lassen. Nachdem dieser Zeitvertreib erschöpft war, betrachtete er sich erneut in seinem Taschenspiegel, um Gesellschaft zu haben. Er liebte sein rundes Kindergesicht, die blauen, hinter der dicken Hornbrille treuherzig dreinblickenden Augen, er schätzte sein kleines Schnurrbärtchen und seinen kurzen, gepflegten Kinnbart, ein Intellektuellenbart eigentlich, aber eines künstlerischen Intellektuellen. Wunderbar. Die Zunge belegt? Nein, normal und rosig. Tadellos.
»Nicht schlecht, dieser Deume. Wirklich ein schöner Mann, seine bessere Hälfte kann sich nicht beklagen.«
Er steckte den Spiegel wieder in sein Krokodillederetui und gähnte. Dienstag heute, ein trostloser Tag, ein Tag ohne Hoffnung. Noch dreieinhalb Tage bis zum Wochenende. Um sich zu trösten, betrachtete er seine Armbanduhr. In seinen vier Wänden, wo niemand ihn sah, gab er ihr einen kleinen Kuss. »Schätzchen«, sagte er zu ihr. Dann dachte er an Ariane. Ja, er war der Ehemann einer schönen Frau, er hatte das Recht, sie überall anzufassen, an der Brust, am verlängerten Rücken, wie und wann er wollte. Eine schöne Frau, für ihn ganz allein. Die Ehe hat wirklich ihre guten Seiten. Ja, heute Abend, bestimmt. Aber jetzt erst einmal an die Arbeit, denn das ist nun mal das heilige Gesetz der Erde. Womit beginnen? Verflucht, er hatte vollkommen das britische Memo vergessen, natürlich, die Kommentare waren mehr als eilig! Dieser verdammte Vauvau! Ständig diese eiligen Akten! Er blätterte in dem dicken Ordner. Zweihundert Seiten, diese Schweine! Die hatten wohl eine Menge Zeit im Colonial Office! Wie spät ist es? Fast vier Uhr zwanzig. Nur noch eine Stunde vierzig Minuten bis sechs. In gut anderthalb Stunden würde er niemals
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