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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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seiner britischen Majestät! Die konnten ruhig noch ein bis zwei Monate warten, das würde ihnen eine Lehre sein. Oder man antwortete ihnen überhaupt nicht! Keine Gefahr, es war ja nicht amtlich. Hopp, auf den Friedhof! Er warf die schmale Akte in die unterste linke Schublade, wo Arbeiten landeten, die man auf ewig und ohne Risiko liegen lassen konnte.
    Er streckte sich gähnend und schaute lächelnd auf seine im letzten Monat erworbene, aber seinem Herzen immer noch neue Armbanduhr. Er betrachtete sie von vorne und von hinten, putzte das Glas und freute sich, dass sie völlig wasserdicht war. Neunhundert Schweizer Franken, aber es hatte sich gelohnt. Noch schöner als die von Huxley, diesem Snob, der einen nur jedes zweite Mal grüßte. Dann wandte er sich in Gedanken an seinen Freund in Brüssel, den armen Philologen Vermeylen, der jetzt irgendwelchen Blagen Grammatik beibrachte und ein Hungergehalt von etwa fünfhundert Schweizer Franken bezog.
    »Schau mal, Vermeylen, was für eine schöne Armbanduhr ich hier habe, eine Patek Philippe, die beste Schweizer Marke, mein Alter, erstklassiges Chronometer, mein Lieber, mit offizieller Garantie, und Wecker, siehst du, ich kann sie ja mal klingeln lassen, und hundert Prozent wasserdicht, mit der kannst du baden gehen und sie sogar mit Seife einreiben, wenn es dir Spaß macht, und nicht etwa vergoldet, sondern massiv Gold, achtzehn Karat, du kannst es am Stempel nachprüfen, zweitausendfünfhundert Schweizer Franken, mein Alter!«
    Er kicherte vergnügt und dachte voller Sympathie an den guten alten Vermeylen mit seiner dicken Stahluhr. Er hat kein Glück gehabt, der arme Vermeylen, ein wirklich lieber, guter Kerl, er mochte ihn. Gleich morgen würde er ihm eine große Schachtel Pralinen schicken, die größte. Vermeylen würde sie begeistert mit seiner armen tuberkulösen Frau in ihrer dunklen kleinen Küche genießen. Ein angenehmes Gefühl, Gutes zu tun. Beim Gedanken an Vermeylens Freude rieb er sich die Hände und öffnete eine weitere Akte.
    »Verdammt, schon wieder diese Kamerun-Akte!«
    Nicht totzukriegen, diese Akte! Er hatte wirklich die Nase voll, den Empfang dieses Berichts der französischen Regierung über diese ewigen Geschichten von Trypanosomiasis in Kamerun zu bestätigen! Die Kameltreiber in Kamerun und ihre Schlafkrankheit waren ihm herzlich egal! Doch diese Empfangsbestätigung war leider dringlich, da es sich um eine Regierung handelte. Das musste also heute noch irgendwie erledigt werden. Schon seit Wochen lag diese verdammte Akte hier herum. Einzig und allein die Schuld Vauvaus, der sie ihm immer wieder zur Berichtigung zurückgeschickt hatte. Und jedes Mal musste man alles wieder von vorn anfangen. Das letzte Mal wegen dieses »bezugnehmend auf«. Seit der Kabinettschef des Generalsekretariats van Vries mitgeteilt hatte, ihm gefalle dieses »bezugnehmend auf« nicht, hatte Vauvau Jagd auf sie gemacht. Sklavenmentalität! Und was wollte er jetzt? Er las die Anmerkung seines Chefs auf der Aktennotiz. »Herr Deume, wollen Sie bitte den letzten Absatz Ihrer Vorlage abändern. Er enthält viermal das Wort
zu
. Was soll die französische Regierung von uns denken? V. V.« Er las den letzten Absatz noch einmal: »Ich stehe Ihrer Exzellenz zu jeder Zeit zu weiteren Auskünften zur Verfügung und beehre mich, Sie hochachtungsvoll zu grüßen.«
    »Ja, natürlich«, räumte er ein. »Verdammte Kameltreiber in Kamerun! Sollen sie doch alle an ihrer Schlafkrankheit verrecken, damit ich endlich Ruhe habe!«
    Ermattet, der Kopf seitlich auf den Tisch gesackt, trüben Gedanken nachhängend und ins Leere starrend, öffnete und schloss er mehrere Male die verhasste Akte und stieß dabei melancholisch einen leisen Fluch aus. Endlich setzte er sich wieder auf, las den beanstandeten Absatz noch einmal und seufzte. Gut, sei’s drum, die Sache wird erledigt.
    »Wird sogleich erledigt«, gähnte er.
    Er stand auf und suchte erst einmal auf den Toiletten Zuflucht, wo man auf höchst legitime Weise einige Zeit verstreichen lassen konnte. Um seine Anwesenheit zu rechtfertigen, gab er vor, sie zu benutzen, indem er sich vor die berieselte Pissoirwand stellte. Danach betrachtete er sich im großen Spiegel. Die Faust in die Hüfte gestemmt, gefiel er sich. Dieser Anzug mit den kleinen hellbraunen Karos war wirklich fesch, und die Jacke betonte die Taille.
    »Adrien Deume, der elegante Herr«, vertraute er wieder einmal dem Spiegel an, während er sich zärtlich die jeden

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