Die Schöne des Herrn (German Edition)
nehmen würde.
Die Ihre.
Heißgeliebter Freund, eben habe ich diesen Brief noch einmal gelesen. Wenn ich mich so lange über meinen Onkel ausgelassen habe, so deswegen, weil ich Ihnen so viel Schlechtes über die alte Deume gesagt habe. Ich möchte nämlich, dass Sie, wenn Sie sie mit meinem Onkel vergleichen, begreifen, dass sie ganz das Gegenteil einer Christin ist, die Karikatur einer Christin. Der wahre Christ ist mein Onkel, der die Güte, die Reinheit, die Uneigennützigkeit, die Großzügigkeit in Person ist. Und ich habe Ihnen auch so ausführlich von ihm erzählt, damit Sie ihn lieben und damit Sie in diesem großen Christen und großen Genfer auch den Genfer Protestantismus lieben und schätzen lernen, diese bewundernswerte moralische Nation, deren Tugenden er so wunderbar verkörpert. Ja, er ist eine Art Heiliger, so wie es auch, glaube ich, Ihr Onkel sein muss.
Gestern Abend vor dem Schlafengehen habe ich mir den heimlichen Ehering an den Finger gesteckt. Nachdem ich das Licht ausgemacht hatte, habe ich ihn berührt und ihn an meinem Finger gedreht, um ihn besser zu spüren, und dann bin ich eingeschlafen, glücklich, als Frau meines Geliebten. Die vier russischen Worte, die ich weiter oben geschrieben habe, bedeuten mein Geliebter, mein Schatz.«
LXIII
Rostbraun und mit zitternden Kotflügeln, seltsam hoch auf leidgeprüften Rädern, hatte der Wagen einen Wutanfall auf der Avenue de Champel, hüpfte auf der Stelle, fuhr im Zickzack weiter und ließ eine wellenförmige Spur von schwarzem Öl hinter sich. Bald wütend, bald verträumt, den Kühler stets umhüllt von Dampffontänen, die daraus hervorschossen wie das Meerwasser aus den Barten eines Wals, bog er schließlich in den Chemin de Miremont ein, wo sein Herr sich alle Mühe gab, ihn zum Anhalten zu überreden. Nach dreimaligem lautem Knallen und einem Wutschrei bequemte er sich endlich, stehen zu bleiben, rächte sich jedoch mit einem letzten Ölspritzer, der eine liebenswürdige kleine Bulldogge traf, die hier an nichts Böses denkend spazieren ging.
Groß und hager, mit gekrümmtem Rücken und hängendem Schnauzbart, kletterte Arianes Onkel aus der immer noch hasserfüllt schnaubenden Bestie, löschte die beiden Karbidlampen, gab der Kühlerhaube einen freundlichen Klaps, lüpfte seinen alten Zylinder vor dem Dienstmädchen des Nachbarhauses und stieß die Eingangstür auf.
In dem mit Büchern überfüllten Vestibül strich er seine Schnurrbartspitzen nach unten und kratzte sich den geschorenen Schädel. Hm, ja, er hatte sich schrecklich verspätet. Was sollte er ihr sagen? Er stieg die Treppe hinauf, klopfte leise an eine Tür im ersten Stock und trat ein. Euphrosine machte ein Auge auf, schob ihr behaartes Kinn unter der Bettdecke hervor und klagte, es sei doch unerhört, sie so lange auf ihr Abendessen warten zu lassen. Er nahm sein Monokel ab, setzte es wieder auf und sagte, es tue ihm leid, aber er habe länger als vorgesehen bei seinem letzten Patienten, einem Schwerkranken, bleiben müssen.
»Ich bin auch krank«, murmelte die Alte und zog sich die Decke wieder über ihr behaartes Kinn. »Ich brauche ein Käseomelette, und aus vier Eiern muss es sein, ja!«
Als er mit dem Tablett wiederkam, wollte sie das Omelette nicht essen und verlangte eines, das breiiger sei. Zum ersten Mal blieb er fest, sagte in ruhigem Ton, dieses Omelette sei durchaus essbar und ein anderes gebe es nicht. Sie versuchte es mit Tränen. Als sie sah, dass sie damit nicht durchkam, beugte sie sich über den Teller und schlang das Omelette gierig in sich hinein, ihm von Zeit zu Zeit einen tückischen Blick zuwerfend.
Nachdem sie ihr Dessert verspeist hatte, deckte er sie wieder richtig zu, klopfte das Kopfkissen zurecht, nahm das Tablett und ging in die Küche hinunter, wo er ein weichgekochtes Ei und eine Orange aß, wobei er dreimal von Euphrosines Klingeln unterbrochen wurde. Das erste Mal, weil sie Krümel in ihrem Bett gefunden hatte, die sie in ihrer senilen Ausdrucksweise Kratzerchen nannte; dann wollte sie ihren Lindenblütentee, den sie aus dem Schnabel der Teekanne trank; und schließlich, um sich das Gesicht mit einem mit Eau de Cologne befeuchteten Tuch zu erfrischen. Danach drehte sie sich zur Wand und tat, als schliefe sie.
***
Um zwei Uhr morgens weckte ihn das Klingeln des Telefons. Er nahm den Hörer ab und lächelte, als Madame Dardier sich für die Störung entschuldigte, aber ihr Baby schreie seit mehr als einer Stunde, und da man doch
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