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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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stach einen der Geruch in der Nase, und das war angenehm. Das nächste Mal, wenn sie nach Annemasse führe, würde sie sich ein Dutzend Schachteln besorgen.
    Nein, nicht rauchen, nicht heute Abend um neun nach Tabak riechen, wenn. Sie warf die Zigarette fort, erzählte sich, sie sei eine Kuh, und muhte, um es zu glauben. Dann beschloss sie jedoch, keine Kuh zu sein, sondern die Freundin einer sehr netten, sauberen und wohlerzogenen schwarzweißen Kuh, die ihr überallhin folgte und Flora hieß. »Komm, mein Schatz, setz dich zu mir und käue brav wieder.« Sie tätschelte ihr Knie, das die Stirn ihrer Gefährtin sein sollte, fand keine Hörner und erklärte es sich damit, dass sie eine sehr junge Kuh sei. »Weißt du was, Flora, er kommt heute Abend.« Sie gähnte erneut und kaute einen Grashalm. Oh, diese Kuh konnte einfach nicht stillsitzen, jetzt war sie aufgestanden, um zu grasen! »Flora, wirst du sofort herkommen! Nun komm schon, und wenn du brav bist, nehme ich dich morgen in den botanischen Garten mit und zeige dir die Bergblumen, das wird dich bilden.«
    Damit sie endlich stillsäße, sang sie ihr eine Mozartarie auf Italienisch vor und fragte sie, ob sie Italienisch verstehe, da sie doch aus Savoyen stamme. »Nein«, sagte die Kuh. Darauf erklärte sie ihr, dass
»Voi che sapete che cosa è amor«
›Ihr, die ihr wisst, was Liebe ist‹ bedeute. »Weißt du, was Liebe ist? Nein? Dann bist du aber eine arme Kuh. Ich weiß es. Und jetzt hau ab, ich habe dich genug gesehen. Ich werde mit den Vorbereitungen beginnen.«
    Im kleinen Salon band sie sich die Krawatte der Ehrenlegion um, die er ihr geschenkt hatte, salutierte vor dem Ankleidespiegel, wirbelte ein paar Mal herum und bückte sich plötzlich, damit das Segeltuchkleid sich aufbauschte. Dann ging sie in die Küche und sah nach, ob noch Schokolade da war. Nur eine Tafel. Wieder im kleinen Salon, beschloss sie, das Vergnügen möglichst lange zu genießen, indem sie sie im Mund schmelzen ließ, vergaß jedoch ihren Entschluss und verschlang die Tafel in weniger als zwei Minuten. »Was soll’s«, trällerte sie und legte sich auf das Sofa als Vorgeschmack für heute Abend. Vier Uhr dreißig. Um neun würde er da sein, also in viereinhalb Stunden. Zweihundertsiebzig Minuten, zweihundertsiebzig Mal Warten. Die Lösung wären sehr sorgfältige Vorbereitungen, für die zweihundertsiebzig Minuten gerade mal reichen würden. Ja, ein Aktionsplan mit einer bestimmten Anzahl von Minuten für jede Phase der Vorbereitungen. Baden und Abtrocknen. Haare waschen und trocknen mit dem Heißluftding. Schönheitsmaske nach dem neuen Rezept aus der blöden wöchentlich erscheinenden Frauenzeitschrift. Diverse Kontrollen des kleinen Salons und des Vestibüls. Anprobe der Kleider, Vergleiche, Überlegungen, progressives Verwerfen und letzte Wahl, dafür musste viel Zeit eingeplant werden. Unter all den Kleidern von Volkmaar, die gerade geliefert worden waren, gab es bestimmt mehrere, die passabel waren. Gegebenenfalls noch ein zusätzliches Bad einplanen. Diverse andere Vorbereitungen einschließlich der Zeitverluste, Betrachten im Spiegel, Ausprobieren verschiedener Arten des Lächelns und des Mienenspiels, Nachkämmen des Haars, diverse Gesänge, Freudengrimassen, Unvorhergesehenes und Katastrophen.
    Nachdem sie den Aktionsplan auf die Rückseite des Telegramms gekritzelt hatte, rechnete sie zusammen und kam auf zweihundertdreißig Minuten für die Vorbereitungen. Wie spät war es jetzt? Vier Uhr fünfunddreißig. Er wäre also erst in zweihundertfünfundsechzig Minuten da. Somit bleiben fünfunddreißig Minuten des Nichtstuns. Folglich fünfunddreißig Minuten echten Wartens, da die übrige Zeit beschäftigt. Fünfunddreißig Minuten Warten, das war nicht viel, sie hatte alles gut durchdacht. Ach, wie dumm, die Briefe des Lhameg noch nicht geöffnet. Wenigstens den Letzten lesen, man kann nie wissen.
    Der lange Brief war in Brüssel datiert, Schloss van Offel, Mittwoch, den 22. August. Sie überflog ihn, übersprang ganze Seiten und fischte nur hie und da ein paar Sätze heraus.

    »Meine geliebte Rianounette, bin seit einigen Stunden in Brüssel und sitze im luxuriösen Gästezimmer, das Herr und Frau van Offel mir liebenswürdigerweise zur Verfügung gestellt haben, an einem echten Empireschreibtisch, um dir zu schreiben.« Weiter. »So bin ich also fast am Ende meiner diplomatischen Reise angelangt. Wenn ich mir vorstelle, dass ich gestern noch in Jerusalem war! Mit dem

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