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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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Flugzeug gibt es wirklich keine Entfernungen mehr.« Schön, weiter. »Liebling, vielen Dank für Dein liebes Telegramm, das ich in Jerusalem erhielt. Ich gestehe, dass ich lieber einen langen Brief von Dir erhalten hätte, mit allen Einzelheiten über Deinen Tagesablauf, aber ich weiß ja, dass meine Rianounette nicht gern schreibt.« Richtig erkannt, weiter. »In meinen vorigen Briefen habe ich Dir ausführlich alles Erwähnenswerte über meine vier Wochen in Palästina mitgeteilt. Deswegen brauche ich heute eigentlich nur noch ergänzende Informationen über die letzten Tage hinzuzufügen, in denen ich zu sehr mit offiziellen Verpflichtungen, die mich voll und ganz in Anspruch nahmen, beschäftigt war, um Dir den versprochenen dritten Brief der Woche zu senden, wofür ich mich reuigst entschuldige. Nach reiflicher Überlegung ziehe ich es jedoch vor, Dir diese zusätzlichen Informationen einstweilen nicht zukommen zu lassen, da es sich um den Höhepunkt meiner Dienstreise handelt, um zwei ganz große Ehren, die mir in Palästina zuteil wurden, nämlich erstens ein Gespräch über die Lage mit Seiner Exzellenz, dem Hochkommissar, und zweitens ein Mittagessen im Palast Seiner Exzellenz. Es fällt mir schwer, Dir nicht gleich davon zu erzählen, so groß waren die erwähnten Ehren, aber ich ziehe es vor, diese Dinge mit Dir gemeinsam zu kommentieren und zu genießen. Und wenn ich Dir schon jetzt darüber schreibe, verliert es seinen Reiz. Außerdem lassen sich all die Einzelheiten, welche die eigentliche Atmosphäre ausmachen, schriftlich gar nicht wiedergeben. Daher werde ich Dir mündlich von meinen Ehren erzählen! Und jetzt komme ich zum letzten Teil meiner Dienstreise, der ganz besonderes Fingerspitzengefühl erfordert, da es unsere Hauptsorge ist, die legitimen Empfindlichkeiten der Regierungen nicht zu verletzen.« Weiter. »Ich hoffe, dass meine Ausführungen Dich nicht zu sehr gelangweilt haben, aber wem soll ich von meinen Kämpfen und Hoffnungen berichten, wenn nicht meiner Gattin und Lebensgefährtin?« Armer Kleiner, weiter. »Mein liebstes Frauchen, Du hast mir sehr gefehlt, und es war sehr schmerzlich für mich, Gegenstand so vieler schmeichelhafter offizieller Aufmerksamkeiten zu sein, ohne sie mit Dir genießen zu können. Und auch Du hast sicher Trübsal geblasen, meine arme kleine Verlassene, während all dieser Wochen.« Weiter. »Ich lege diesem Brief ein Foto von mir bei, das in London aufgenommen wurde, damit mein Bild Dir einen Vorgeschmack von meiner Rückkehr gibt. Der junge Mann neben mir ist Baron de Baer, der erste belgische Gesandtschaftssekretär, bei dem ich zu Mittag gegessen habe, ein reizender Mensch.« Weiter. »Und deshalb, meine geliebte Fatmah, aus obenerwähnten sowohl beruflichen als auch gesellschaftlichen und familiären Gründen werde ich leider noch zehn weitere Tage in Brüssel bleiben müssen, das heißt bis einschließlich Freitag, den 31. August. Also werde ich erst am Samstag, dem 1. September, die Freude haben, meine Rianounette wiederzusehen und ihr von meinen Taten zu berichten, denn ich kann ohne falsche Bescheidenheit behaupten, dass ich lorbeerbekränzt zurückkehre!« Weiter. »Mein Liebling, sage Dir, dass die Trennung nun bald ein Ende hat und wir die unermessliche Freude haben werden, uns wiederzusehen. In Erwartung dieser herrlichen Stunde drücke ich Dich an meine Männerbrust.«

    Sie warf den Brief und, ohne es zu betrachten, das Foto in eine Schublade. Ihn jetzt gleich in Brüssel anrufen und ihm ein paar nette Worte sagen? Nein, nicht mit den Vorbereitungen vereinbar. Lieber ihm morgen ein Telegramm schicken. Die anderen Briefe öffnen? Es waren zu viele. Sie machte die Schublade auf, nahm das Foto heraus und betrachtete es. Der Arme mit seinem runden Schädel und so stolz, neben einem echten Diplomaten zu stehen. Schrecklich dieser vertrauensvolle Blick. Schrecklich seine Gewissheit, dass er mit Ungeduld erwartet wurde. Sie legte das Foto in die Schublade zurück. Immerhin würde er erst in einer Woche zurück sein. Also noch sieben Tage des Glücks mit Sol, und dann würde man weitersehen. Wie auch immer, heute nicht daran denken.

***

    Im Badezimmer drückte sie die Zahnpasta auf die Zahnbürste, begann sich gewissenhaft die Zähne zu putzen, und unterbrach sich nur, um sich über den Fahrplan zu beugen. In zehn Minuten wäre der Zug in Bourg. Gut, da blieb ihr genügend Zeit. Los! Mindestens fünf Minuten gründlich putzen. Plötzlich nahm sie die

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