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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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Winzling«, sagte Eisenbeißer. »Ich muss dir allerdings in Erinnerung bringen, dass dein angetrautes Weib nur einen einzigen Zahn hat, wenn auch schön und fest. Aber fahre fort mit deinem Geplapper, du interessierst mich!«
    »Und da musste ich nun, ausgerissen wie eine Blume und ohne meine geliebte Morgenandacht in der Synagoge verrichten zu können, unter höchster Todesgefahr in der fliegenden Maschine mit euch bis in dieses Genf galoppieren! Und nun sitze ich hier in schwarzer ländlicher Einöde, riskiere, mir eine Angina zuzuziehen in dieser nächtlichen Kühle, und verstehe überhaupt nichts, ich armer Vernachlässigter! O Michael, o blutsverwandter Vetter, o Solal wie ich selbst, fürchte, dass auch ich in die Arme des Todesengels sinken werde! O Freund, hab Mitleid mit meiner Unwissenheit und gib mir eine kleine Erklärung!«, schloss Salomon, die Hände gefaltet und zu Michael aufblickend, der nur gähnte, um zu zeigen, wie wenig er sich aus all dem Brimborium machte.
    »Schweig«, sagte Eisenbeißer und schob das Männlein beiseite, »schweig, du Makkaronirest in einem Löffelchen! Und du, Michael, hör mir zu! Was soll diese Grausamkeit, die ich bis zum heutigen Tag nicht an dir kannte? Hast du kein Mitleid mit mir? Habe ich nicht genug Kummer und Widerwärtigkeiten erduldet, die jene Grausame von edler Abstammung mir in London zufügte? Und habe ich nicht genug gelitten, seit meine Zehen wieder den Boden des Vaterlandes von Wilhelm Tell berührten? Bedeutet dir mein Schmerz denn nichts, als wir heute Nachmittag aus der die Lüfte durcheilenden Maschine stiegen und bemerkten, dass unser geliebter Vetter Saltiel plötzlich von einer schlimmen Gelbsucht befallen wurde, so dass wir ihn in der ersten Klinik in Genf absetzen mussten, fünfzig Franken täglich für Zimmer und Verpflegung, die grauenerregenden Honorare des schwachsinnigen Professors der Medizin nicht eingerechnet?«
    »Und der arme Onkel hat uns gebeten, seinem Herrn Neffen nichts von seiner Krankheit zu erzählen, um ihn nicht zu beunruhigen«, unterbrach Salomon, »sondern ihn im Glauben zu lassen, Geschäfte hätten ihn in letzter Minute in Athen zurückgehalten, was wirklich sehr edel von ihm ist!«
    »Halte deine unbedeutende Klappe, du Nagel der kleinen Zehe oder gar Abfall derselben!«, herrschte Eisenbeißer ihn an. »Lass einem Beredteren das Wort, der der Sprache mächtig ist! Ich fahre in meiner Argumentation fort, die Hand auf dem Herzen. Ich war also bei der Erzählung meiner Leiden stehengeblieben. O Michael, o Tiger aus dem Dschungel Bengalens, ich frage dich noch einmal, habe ich nicht genug gelitten? Bedeutet dir meine Demütigung gar nichts, als wir erst um acht Uhr abends vom Neffen Saltiels empfangen wurden und ihm die heroische Notlüge seines Onkels mitteilten, nämlich dass er in Athen geblieben sei, und als dann besagter Neffe uns, mich, Mattathias und Salomon, fortschickte und dir den unglaublichen Vorzug gewährte, allein bei ihm zu bleiben, während ich, ein Paria und aufs äußerste betreten und mich verzehrend vor unverdienter Erniedrigung, die mein Herz in schwarzen Schlamm verwandelte, mit jenen hier zutiefst zerknirscht und im Bewusstsein des Gesichtsverlustes in unser Hotel ohne fließendes Wasser zurückkehrte, wo wir deine, wie wir hofften, baldige und brüderliche Ankunft erwarteten, nicht ohne vorher sowohl zu deinem als auch meinem Nutzen vielerlei Getränke und köstliche Mundvorräte bei dem israelitischen Lebensmittel- und Delikatessenhändler aus Saloniki besorgt zu haben, der bis Mitternacht geöffnet hat und wo ich großzügig nach Lust und Laune einkaufte und keine Kosten scheute, denn der Tod ist mir stets gegenwärtig, mit vorheriger Agonie, erschwert durch Krämpfe, Erstickungsanfälle, Stiche in der Brust und Röcheln aller Arten, und ich spucke auf die Goldmünzen,
seriatim et privatim
, mit denen ich wie gesagt den ganzen Vorrat an zubereiteten Speisen kaufte, einschließlich der köstlichen, gerade aus Marseille eingetroffenen Calamares, die er laut brutzelnd in meiner Gegenwart briet! Knusprige Calamares, die uns zurufen: ›Verspeist uns, ihr tapferen Männer!‹ Gilt sie dir denn nichts, diese meine Großzügigkeit, die mich trotz dramatischen Hungers anordnen ließ, auf dich zu warten, um sie in deiner kameradschaftlichen und verwandtschaftlichen Gegenwart zu verzehren? Und viertens endlich, habe ich nicht genug ertragen, als du erst gegen Viertel nach neun ins Hotel zurückkamst und

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