Die Schöne des Herrn (German Edition)
geliebten Kindern ihren Vater! Weißt du denn nicht, dass ein ungeklärtes Rätsel ins Gehirn steigt und dort eine tödliche Turbulenz verursacht, die man Meningitis nennt! Und was soll dann aus den armen Waisen werden, die einen geliebten Vater verloren haben? O Tränen, o Schluchzen, o kindliches Schaudern! Willst du also schon deshalb nicht, geliebter Vetter, willst du also nicht, dass wir, fern von diesen beiden anderen, falls du es vorziehst, ganz im Vertrauen und in aller Freundschaft, im zärtlichen Überfluss unserer Herzen, uns nett und freundlich über deine verborgene Mission unterhalten, auf dass du dir meinen Rat und die Bewegungen meines Geistes zunutze machst und ich in das schöne Geheimnis eingeweiht werde und des langen und breiten davon sprechen kann, damit sich meine Kehle besänftigt und meine Zunge beruhigt? Natürlich werde ich dieses in Zuneigung geteilte liebe Geheimnis bis ins Grab für mich behalten, darauf mein Ehrenwort! Und jetzt höre mich an, du Janitschar! Seit mehr als fünfzig Jahren bin ich dein Freund und Vetter und dir in unendlicher Liebe zugetan, aber wenn du nicht wenigstens mir den Zweck unseres nächtlichen Hierseins bekanntgibst, und warum diese Pferde und dieses Automobil hier warten, so wisse zuallererst, dass ich aus unbefriedigter Neugierde sterben werde, was schade ist, und du hast nicht das Recht, mich in der Blüte meiner Jahre umkommen zu lassen! Und wisse ferner, o Löwe Abessiniens, dass mein Geist dir das Blut in den Adern gerinnen lassen wird und dass ich außerdem zwei anonyme Briefe zu schreiben gedenke, einen an den Zollvorsteher von Kephalonia, um ihm von deinen Schmuggeleien zu berichten, den anderen an den christlichen Generalstaatsanwalt unserer Heimatinsel, in dem ich ihm unbarmherzig deine schandbaren Liebesbeziehungen zu seiner Tochter enthülle, was dich aufs Schafott bringen wird, und wenn man dir dann den Kopf abschneidet, werde ich Bonbons essen, und wisse schließlich, dass ich in meinem Leben kein Wort mehr mit dir sprechen werde! Nun also, was tun wir hier, und was bedeutet dieser Weltuntergang?«
»So sprich doch«, sagte Mattathias.
»Denn es liegt in unserer Natur, die Geheimnisse kennen zu wollen«, erklärte Salomon.
Nachdem er auf diese Weise die Lage vernünftig zusammengefasst hatte, kümmerte sich der kleine Mann um die Erhaltung seiner Gesundheit. Zu diesem Zweck schlug er den Kragen seines entzückenden Mäntelchens aus Schafwolle hoch, um seinen lieben Hals zu schützen, und band sich zwei große Taschentücher um sein rundes sommersprossiges Gesicht, was ihm das Aussehen eines kleinen Tuareg verlieh und ihn vor der nächtlichen Kühle und damit auch vor möglichen Zahnschmerzen schützte. Derart beruhigt hinsichtlich der Länge seines irdischen Daseins, wartete er mit liebenswürdigem Lächeln und artig hinter dem Rücken verschränkten Händen auf die interessante Fortsetzung der Ereignisse, ohne dabei jedoch das umgebende Gras und die möglicherweise sich darin verbergenden Schlangen aus den Augen zu lassen.
»Töte mich«, flehte Eisenbeißer, plötzlich auf die Knie fallend. »Erwürge mich, lieber Michael, aber rede! Ja, drück mir den Hals zu, wenn du willst, ich biete ihn dir dar!«, rief er, immer noch auf Knien, ihm mit hocherhobenem Kinn den Hals zum Opfer bietend. »Erwürge mich, Freund, erwürge mich, aber kläre mich vorher auf! Denn dieses Geheimnis, das ich nicht kenne, verdreht mir den Kopf und treibt mir Essig ins Blut, und ich werde schwächer als jeder meiner toten Säuglinge! O Michael, sieh deinen Freund, der hoffend vor dir kniet!«
Vor leidenschaftlicher Aufrichtigkeit bebend, erwartete er den Tod, die Hände flehentlich zum Gebet erhoben und den Hals immer noch zum Opfer dargeboten, überwältigt von seinem Opfermut und verstohlen die Wirkung auf die drei Zuschauer beobachtend. Nach einem langen Schweigen erhob sich Michael, zog einen Damaszenerdolch aus seinem breiten Gürtel, prüfte die Schneide mit dem Fingernagel und präsentierte die Waffe seinen Cousins.
»Gevattern«, sagte er zu ihnen, »das hier ist eine gute Klinge, und die Spitze ist scharf. Derjenige, der es wagen sollte, mir zu folgen und mein geheimnisvolles Vorhaben auszuspionieren, wird sie in seinem Wanst spüren. Falls also einer von euch solches beabsichtigen sollte, so möge er zum letzten Mal die Einheit unseres Gottes beschwören.«
Mit diesen Worten steckte er den Dolch wieder ein, zog aus seiner goldbesetzten Jacke ein
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