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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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achten.«
    All die geschlossenen Zigarettenschachteln, das sieht nach Tabakladen aus. Alle zu öffnen wäre übertrieben, natürlich, aber nur zwei, das ginge, das würde nicht unterwürfig wirken. So, ja, sehr gut, das wirkt lebendiger, intimer. Jetzt noch ein wichtiges Problem. Wie ihn empfangen, wenn er kommt? Ihn auf der Schwelle der Eingangstür empfangen? Nein, zu beflissen, das sieht nach Dienstmädchen aus. Warten, bis er klingelt, und ihm dann aufmachen? Ja, aber was dann? Sie stand auf, trat noch einmal vor den Ankleidespiegel und streckte die Hand mit mondänem Lächeln aus.
    »Guten Abend, wie geht es Ihnen?«, fragte sie im kehligsten und aristokratischsten Tonfall, dessen sie fähig war.
    Nein, das klang zu sehr nach energischer Pfadfinderführerin. Außerdem mangelte es diesem »wie geht es Ihnen« an Poesie. Und wenn sie ihm einfach nur »guten Abend« sagte und das »Abend« wild und sanft zugleich dehnte, so dass es ein wenig wollüstig klang? »Guten Abend«, sagte sie versuchsweise. Oder ihm schweigend beide Hände reichen, in unaussprechlicher Rührung, und ihm dann wie ein verletzter Vogel in die Arme sinken? Vielleicht. Natürlich hatte das »guten Abend, wie geht es Ihnen« den Vorteil, den Kontrast zwischen der mondänen Konventionalität der Frage und dem gleich darauf erfolgenden In-die-Arme-Sinken stärker hervorzuheben, besonders wenn sie einen gierigen Kuss folgen ließ, um die Frische der Weintraube zu nutzen.
    »Nein, nicht weiblich. Warten, bis er die Initiative ergreift.«
    Sie befeuchtete einen Finger, rieb den Hauch eines Flecks auf der linken Sandale fort, kontrollierte die Nasenlöcher im Handspiegel, vergewisserte sich ihrer verführerischen Wirkung, indem sie sie beben ließ, und schob ein Dutzend Haare nach rechts. Die Beleuchtung war entschieden zu dunkel, er würde sie nicht gut genug sehen. Zu rot diese Beleuchtung, schwül, verdächtig und zweideutig. Das kam davon, dass sie den Seidenschal doppelt über den Lampenschirm gelegt hatte. Ihn nur einfach darüberlegen. Sie stieg erneut auf den Sessel und änderte es. Jetzt war die Beleuchtung anständig, sah nicht mehr nach Spelunke und wiegendem Walzer aus.
    Neun Minuten vor neun. Sie arrangierte einige Rosen hübscher in der Vase, nahm eine heraus, die welk herabhing, und schloss sie in eine Schublade. Dann stellte sie einen Strauß an einen anderen Ort, und entfernte den anderen, der zu nah am Sofa stand und umgeworfen werden könnte. Sieben Minuten vor neun. Sie aß zwei Weintrauben und befeuchtete sich die Lippen. Bereit.
    In sechs Minuten jetzt. Sie hatte doch eben noch an etwas gedacht, aber woran? Ach ja, ihn nicht auf den neuen Teppich aufmerksam machen, nicht den Eindruck erwecken, man habe sich seinetwegen Umstände gemacht. Er musste hier alles auserlesen finden, aber ohne die Ursache zu kennen. So blieb das Ansehen gewahrt. Falls er den neuen Teppich bemerkte, nur ganz beiläufig fragen. »Gefällt er Ihnen? Ja, ganz hübsch.«
    Verdammt, die Zigarettenschachteln waren alle voll. Er würde sofort merken, dass sie sie für ihn gekauft hatte. Peinlich, so
obviously
zu zeigen, dass man ihn verhätschelte. Sie leerte die fünf Schachteln zur Hälfte. Wohin mit den herausgenommenen Zigaretten? Mein Gott, vier Minuten vor neun, er konnte jeden Augenblick kommen! Sie warf die Zigaretten unter das Sofa. Nein, das ging nicht, wenn er sich in einen Sessel setzte, würde er sie sehen! Sie zog sich das Kleid hoch, um es nicht zu zerknittern, kniete sich auf den Boden und las die Zigaretten einzeln auf. Sie in den Garten werfen? Nein, wenn sie doch in den Garten gingen, würde er sie sehen. Sie oben verstecken! Die Kühle, die sie verspürte, erinnerte sie daran, dass sie keinen Slip anhatte, und sie lief zur Treppe, beide Hände voller Zigaretten. Idiotisch, immer den Slip zu vergessen! Von jetzt ab ein Schild an die Türklinke ihres Zimmers hängen mit dem Wort Slip und einem Fragezeichen.
    Im zweiten Stock angelangt, erbebte sie, das Blut stieg ihr zu Kopf, und sie errötete. Es klingelte an der Tür! Sie warf die Zigaretten in die Badewanne, rannte in ihr Zimmer, nahm einen Slip und verlor Zeit damit, sich zu sagen, sie verlöre Zeit, wenn sie ihn anzöge. Dann eben keinen Slip!
    Auf dem Treppenabsatz des ersten Stockes kehrte sie noch einmal um und ging hinauf, um einen letzten Blick in den Spiegel des Badezimmers zu werfen. Oh, ausgerechnet jetzt musste die Nase wieder glänzen! Wo war der Puder? Egal, nehmen wir Talkum!

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