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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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auf das Profil, er immer rechts.
    »Los, beeil dich«, rief sie, plötzlich wahnsinnig vor Freude. »komm schnell, du kleines Männlein, ja, du, Solal, jawohl, ein kleines Männlein bist du und sonst nichts!«
    Sie genoss ihre Lästerung und hielt sich die Hand vor den Mund, um ein schockiertes Lächeln zu verbergen. Anschließend ging sie, nachdem sie die Stirnlocke noch einmal verbessert und zur letzten Vollendung gebracht hatte, mit verstohlenen Blicken vor dem Spiegel auf und ab, um sich in Bewegung zu sehen. Das Kleid der Toten betonte zu sehr ihre Hüften, die prächtigen Rundungen, derer sie sich früher geschämt hatte; betonte zu sehr den leichten und nach Flieder duftenden Bogen des Schambeins. Ein wenig peinlich, zu offensichtlich, zu sehr zur Schau gestellt. Ach was, er hatte ein Recht auf alles.
    »Wollen wir sie uns ein bisschen anschauen? Nur ein bisschen, um zu sehen, welchen Eindruck sie auf ihn machen werden. Wenn er das Recht hat, sie sich anzuschauen, warum nicht auch ich, die Besitzerin?«
    Nachdem sie sich wieder in einen anständigen Zustand gebracht hatte, blickte sie noch einmal auf das Thermometer. Perfekt. Sehr gut, dass sie kein Feuer machen musste, denn in der Hitze könnten sich die Wangen röten. Ein kleiner Spaziergang im Garten, um die richtigen Gedanken zu bekommen? Nein, das Gehen könnte dem Gesicht schaden. Das Vernünftigste wäre, sich zu setzen und sich möglichst wenig zu bewegen, um nichts an sich zu verderben.
    Sie nahm mit dem Handspiegel in einem Sessel Platz, um die Haltbarkeit ihrer Schönheit zu überwachen und auf ärgerliche Veränderungen in der Haut zu achten. Besonders aufmerksam beobachtete sie ihre Nase, die, wie sie befürchtete, unter der Wirkung der Hitze plötzlich glänzen könnte, und blieb brav und aufrecht sitzen, eine Musterschülerin, reglos und kaum atmend, um ihre Vollkommenheit nicht zu beeinträchtigen, geheiligtes, aber zerbrechliches und von Gefahren umgebenes Götzenbild, den Kopf kaum bewegend, sehr viel mehr allerdings die Augen, immer dann, wenn sie auf die kleine Uhr blickte, um zu wissen, wie spät es war. Von Zeit zu Zeit probierte sie, den Blick stets auf den Handspiegel gerichtet, ein besonders bezauberndes Lächeln, rückte eine Falte ihres Kleides zurecht, berührte ganz leicht ihr Haar, allerdings ohne eine merkliche Veränderung herbeizuführen, betrachtete prüfend ihre Fingernägel, warf einen verliebten Blick auf die goldenen Sandalen, rückte eine andere Falte zurecht oder versuchte ein nuancierteres Lächeln, kontrollierte noch einmal ihre Zähne oder blickte auf die Uhr und zitterte bei dem Gedanken, durch das Warten an Schönheit einzubüßen.
    »Dieses Licht geht überhaupt nicht. Viel zu hell. Dieser weiße Lampenschirm ist schuld. Ich bin schon ein bisschen zu rot geworden. Wenn er kommt, wird es noch schlimmer sein, wie eine savoyische Bauernwitwe nach einer schweren Mahlzeit werde ich aussehen.«
    Sie ging hinaus und kam mit einem rotseidenen Schal zurück, den sie über den Lampenschirm hängte. Sie stieg auf einen Sessel, blickte sich um und war erleichtert. Jetzt war das Licht gut, geheimnisvoll und gedämpft. Sie setzte sich wieder, blickte in den Spiegel und gefiel sich. In dem neuen Licht war die Röte aus ihrem Gesicht verschwunden, das jetzt rein und bleich wie Jade strahlte. Ja, sehr gut, genau das geheimnisvolle Helldunkel von Leonardo da Vinci. Acht Uhr vierzig. »In zwanzig Minuten«, flüsterte sie, atemlos vor lauter Aufgeregtheit. Könnte er nicht ein bisschen früher kommen, dieser Kerl? Gerade jetzt war sie so perfekt. Eine Zigarette rauchen zur Beruhigung? Nein, das könnte den Zähnen den Glanz nehmen. Außerdem durfte sie bei den Fruchtküssen nicht nach Tabak riechen. Übrigens sobald er klingelte, schnell ein oder zwei Weintrauben essen vor dem Aufmachen, eine oder zwei für das Aroma des Mundes, das bei den unterirdischen Küssen unerlässlich war.
    »Und auch wenn er da ist, von Zeit zu Zeit heimlich ein oder zwei essen, ohne dass er es merkt, oder scheinbar zerstreut, tatsächlich aber, um die Frische zu erneuern. Eine schäbige List gewiss, aber sei’s drum, ich bin eben eine Frau, ich bin Realistin, und er soll schließlich mit ungetrübter Freude bei der Sache sein. Ich habe nun mal einen etwas trockenen Mund, weil ich aufgeregt bin. Er wird glauben, die Frische der Weintrauben käme von mir und sei eine ganz unerhörte natürliche Frische. So ist es nun einmal, man muss auf alles

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