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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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zu erzählen. Also, Petresco wohnt in Pont-Céard, ganz in der Nähe des Schlosses der Gräfin.«
    »Ich kenne Pont-Céard. Da gibt es kein Schloss.«
    »Na ja, sagen wir, ein sehr elegantes Haus. Aber das ist nicht der Punkt. Petrescos Dienstmädchen ist sehr mit der Kammerzofe der Gräfin befreundet, und daher weiß Petresco so gut wie alles, was sich bei der Gräfin ereignet. Er hat es Kanakis erzählt, der es mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit weitererzählt hat. Es scheint, dass die Gräfin jeden Abend den U.G.S. erwartet. (Geheimnisvoll, erregt, spöttisch, schuldbewusst und köstlich entrüstet über diesen etwas gewagten Klatsch, streckte er die spitze Zunge heraus.) Wie es scheint, zieht sie sich jeden Abend superluxuriös an, lässt ein prächtiges Mahl auftragen, erlesene Früchte, Blumen, einfach alles. Und dann wartet sie stundenlang auf ihn. (Er blickte sich unwillkürlich um und senkte die Stimme.) Und wie es scheint, kommt er meistens nicht. Jeden Abend zieht sie sich an, als käme er, steht stundenlang am Fenster, um zu sehen, ob er in seinem Rolls vorfährt, und dann nichts. Bezeichnend, was?«
    Sie stand auf, sah sich die Titel der Bücher auf dem Regal an und gähnte gespielt.
    »Hast du diese Baronin gesehen?«
    »Gräfin«, korrigierte er. »Das ist etwas Höheres. Alter ungarischer Adel, eine Menge Diplomaten in der Familie. Klar habe ich sie gesehen, sie kommt immer in die Versammlungen, zu den Sitzungen des Rates, in die Kommissionen, einfach überall hin, wo er ist, und verschlingt ihn mit den Augen. Es sollte mich nicht wundern, wenn sie gerade jetzt unten in der Halle wäre, wo sie doch all die hohen Tiere kennt, das kannst du dir ja denken, bei der Stellung, die ihr Vater hatte. Was hast du denn, Liebling?«
    »Nichts. Ich finde solche Affären einfach billig, das ist alles.«
    »Was willst du, er ist Junggeselle, und sie ist Witwe, sie sind ja frei.«
    »Dann sollen sie doch heiraten.«
    »Ach weißt du, solche Affären gibt es auch unter sehr vornehmen Leuten. Ludwig der XIV. und Madame de Maintenon, sagt dir das was?«
    »Das war eine morganatische Ehe.«
    »Jedenfalls hat Aristide Briand eine Liaison, jeder weiß es, und er wird von allen geschätzt.«
    »Von mir nicht.«
    Er blickte sie mit seinen großen runden Augen durch die Brille an. Was hatte sie nun schon wieder? Es war ratsam, das Thema zu wechseln.
    »Also, edle und hochwohlgeborene Dame, wie gefällt Ihnen meine kleine Höhle? Natürlich gibt es hier keine Wandteppiche wie bei dem lieben U.G.S., aber es ist doch nett hier, nicht wahr? Wenn du die Büros in den belgischen Ministerien sehen würdest, würde dir sofort auffallen, wie elegant es hier ist. Und obendrein haben wir gewisse Privilegien. Wie in der Diplomatie, verstehst du, zum Beispiel, was die Arbeitszeiten betrifft. Nachmittags fangen wir gewöhnlich um drei Uhr oder sogar noch später an, aber wenn es nötig ist, bleiben wir leicht bis sieben oder acht Uhr abends, wie am Quai d’Orsay oder im Foreign Office. Hier herrscht eine ganz andere Atmosphäre als im Internationalen Arbeitsamt, wo die Leute schuften müssen, ich sage ›müssen‹, aber sie tun es gern, es ist eben ein ganz anderes Milieu, verstehst du, Gewerkschaftler, Linke. Hier geht es diplomatisch und angenehm zu. Du wirst sehen, ich werde dir die Tage aufzählen, an denen ich nicht arbeite. (Im voraus entzückt, nahm er seinen silbernen Bleistift und einen Notizblock und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.) Zunächst einmal darf sich jeder Beamte im Monat einen freien Tag nehmen ohne ärztliches Attest, Artikel einunddreißig der Personalstatuten. Du kannst dir denken, dass ich das ausnutze. (Er schrieb es auf.) Macht zwölf zusätzliche Ruhetage pro Jahr!«
    (Hier ist eine Erklärung notwendig. Besagter Artikel einunddreißig bezieht sich auf eine gewisse weibliche Unpässlichkeit, aber die schamhaften Verfasser der Personalstatuten hatten sich nicht getraut, das klar und deutlich zu sagen. Folglich hatten auch alle männlichen Beamten das Recht, einen Tag im Monat unpässlich zu sein, ohne ein ärztliches Attest vorweisen zu müssen.)
    »Also«, wiederholte Adrien Deume, »zwölf zusätzliche Ruhetage im Jahr. Einverstanden? (Strahlend malte er mit seinem hübschen silbernen Bleistift die Zahl zwölf.) Dann richte ich es so ein, dass ich zweimal im Jahr in Krankenurlaub gehe, mit ärztlichem Attest. Überarbeitung. Übrigens war die Formulierung im letzten Attest nicht schlecht.

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