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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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sagen, auf keinen Fall, sie würde daran zerbrechen.
    Ihr armseliges Leben. Dieses affektierte Zeremoniell, sich nur als herrliches Liebespaar sehen zu wollen, als Priester und Zelebranten ihrer Liebe, einer Liebe, die angeblich immer noch so wie in den ersten Tagen war, diese Farce, sich nur schön und zum Erbrechen edel sehen zu wollen, und makellos, stets einem Bad entstiegen und einander gegenseitiges Begehren vorspielend. Tag für Tag dieser schaurige Vitaminmangel der Schönheit, dieser feierliche Skorbut erhabener und ununterbrochener Leidenschaft. Dieses falsche Leben, das sie gewollt und organisiert hatte, um ihre sogenannten hohen Werte zu bewahren, diese erbärmliche Farce, die sie erfunden und inszeniert hatte, diese tapfere Farce unerschütterlicher Leidenschaft, an welche die Arme so feierlich glaubte, die sie aus tiefster Seele spielte, und das Herz tat ihm weh vor Mitleid, und er bewunderte sie dafür. Geliebte, bis zu meinem Tod werde ich mit dir diese Farce unserer Liebe spielen, unserer armseligen Liebe in Einsamkeit, unserer mottenzerfressenen Liebe, bis ans Ende meiner Tage, und niemals sollst du die Wahrheit erfahren, das verspreche ich dir. Also sprach er zu sich selbst.
    Ihr armseliges Leben. Seine Scham neulich in Cannes, als er sich mit ihr auf der Terrasse des Casinos hatte sitzen sehen, schweigend und jeder eine Riesenportion Eisschokolade mit zu viel Schlagsahne vor sich. Er hatte die Eisschokolade vorgeschlagen. So trösteten sie sich mit Naschereien über ihr Leben hinweg. Ohne sich dessen bewusst zu sein, suchte auch sie nach Mitteln gegen die Avitaminose ihrer Liebe. Die lächerliche kleine Erotik, die Spiele vor dem großen Spiegel und in der Badewanne, die Umarmungen im Pinienhain und all die anderen Erfindungen der Unglücklichen. »Geliebter, es ist heute so heiß, dass ich nichts unter meinem Kleid anhabe.« Vor Scham und Mitleid bekam er Zahnschmerzen. Oder wenn sie ihm Proust vorlas und dabei die Beine zu hoch übereinanderschlug, während er bei sich dachte, ein Gespräch mit einem halben Dutzend Schwachköpfen vom Völkerbund wäre doch beträchtlich vitaminreicher. Albernheiten, aber gemeinsame Albernheiten, begleitet von dem Lächeln des Bruders gegenüber, des schwachköpfigen, aber unersetzlichen Bruders. Was nützt uns Proust, was nützt es uns zu wissen, was die Menschen taten und woran sie dachten, wenn man nicht mehr mit ihnen lebte? Doch das arme Kind las und schlug die Beine höher übereinander. Die Proustsche Bewertung nach gesellschaftlicher Bedeutung tat ihm weh, und er litt, ein Verstoßener, wenn er diese Strategien sozialen Aufstiegs anhören musste, die niedrig, aber heilsam waren. »Das Geschwätz dieses homosexuellen Snobs langweilt mich«, sagte er dann, und um sie zu zwingen, eine anständigere Haltung einzunehmen, schlug er ihr vor, Schach zu spielen. Daraufhin erhob sie sich, um das Spiel zu holen, und das Kleid glitt wieder hinunter. Gerettet, keine Schenkel mehr.
    Ihr armseliges Leben. Manchmal suchte er Zuflucht in erzwungenen Boshaftigkeiten, ohne jede Lust, boshaft zu sein, doch er musste Bewegung in ihre Liebe bringen, ein interessantes Stück daraus machen, mit unerwarteten Wendungen, Höhepunkten Versöhnungen. Zuflucht auch in eifersüchtigen Einbildungen, um ihre, um seine Langeweile zu vertreiben, um Leben zu schaffen, mit Szenen, Vorwürfen und dem darauffolgenden Koitus. Kurz, sie quälen, damit endlich Schluss wäre mit ihrer Migräne, ihrer Schläfrigkeit nach halb elf abends, dem höflich unterdrückten Gähnen und all den anderen Zeichen, mit denen ihr Unterbewusstsein seine Enttäuschung und Auflehnung gegen die Eintönigkeit einer Liebe ausdrückte, die alles Interesse verloren hatte, einer Liebe, von der sie alles erwartet hatte. Ihr Unterbewusstsein, ja, denn sie wusste von all dem nichts. Aber es machte sie krank, die sanfte anspruchsvolle Sklavin.
    Ihr armseliges Leben. Und doch hatte es Anfang Juni, kurz nach der gespielten Gallenkolik, zwei fast glückliche Wochen gegeben, während der Arbeiten, durch die sie ihren nutzlosen Salon noch schöner hatte machen wollen. Man hatte sich früh am Morgen getroffen, ohne vorheriges Klingeln und in ganz normaler Kleidung. Nach dem gemeinsamen Frühstück hatte man sich die Fortschritte angesehen, mit den Arbeitern geplaudert und sie von der wiederaufgeblühten Mariette verpflegen lassen. Die Anwesenheit der drei Arbeiter hatte alles verändert. Während dieser zwei Wochen hatte es eine

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