Die Schöne des Herrn (German Edition)
sie jedoch ihrem Tagebuch anvertraut hatte, das er heimlich gelesen hatte. O dieses liebenswürdige, wohlerzogene Lächeln, mit dem sie ihm zuhörte, ein gemaltes, starres Lächeln, das ein für alle Mal auf ihren Lippen lag und sie nicht mehr verließ, lieblich ihre aufmerksamen Zähne umrahmend, ein Mannequin-Lächeln, ein schreckliches totes Lächeln, das die Liebende ihm schenkte. Und um diese lächelnde Panik nicht mehr sehen zu müssen, war er wie jeden Abend aufgestanden und hatte gesagt, es sei Zeit, sich zu trennen. »Noch fünf Minuten«, hatte sie angeboten, großmütig plötzlich, da sie jetzt sicher war, bald zu Bett gehen zu können. Fünf Minuten der Höflichkeit, nur fünf Minuten, nicht eine mehr! O ihre Nächte in Genf! Um zwei Uhr morgens, wenn er gehen und sie schlafen lassen wollte, wie verzweifelt war die Feurige da gewesen. »Nein, bleib, bleib noch«, hatte sie ihm mit ihrer goldenen Stimme gesagt, einer Stimme, die längst verschwunden war, »es ist nicht spät«, hatte sie gesagt und sich an ihn geklammert.
Was tun, um ihr wieder Leben zu schenken? Den Trick wiederholen, den er vor einigen Monaten angewandt hatte, den Trick mit Elizabeth Vanstead, die angeblich nach Cannes gekommen war und unter Androhung von Selbstmord nach ihm verlangt hatte, und dann wie damals nach Cannes fahren, um angeblich einige Tage mit ihr – natürlich in allen Ehren – zu verbringen, um eine Tragödie zu vermeiden? In Wirklichkeit hatte er sich ganz allein in Cannes zu Tode gelangweilt, ganz allein in einem Zimmer im Carlton, wo er Kriminalromane gelesen und sich als einzigen Trost Luxusmahlzeiten auf seinem Zimmer hatte servieren lassen. Essen und Lesen, das sind die nährenden Brüste der Einsamkeit. Doch am letzten Abend im Carlton dieses plötzliche Bedürfnis nach Glück, nach Sieg. Also die dänische Krankenschwester. Armseliges Glück, trauriger Sieg. Als er am nächsten Tag in die Belle de Mai zurückgekehrt war, war sie wieder lebendig gewesen. Tränen, das kleine tragische Taschentuch, die feucht näselnden Fragen, die forschenden Blicke, und dann die wahnsinnige Gewissheit. »Du lügst, ich bin sicher, dass du mit dieser Frau intim gewesen bist! Sag mir die Wahrheit, es ist mir lieber, ich weiß Bescheid, ich verzeih dir, wenn du mir alles sagst.« Und so weiter. Und als er ihr feierlich beteuert hatte, dass zwischen ihm und der Vanstead nichts gewesen sei, dass er nur aus Mitleid zu ihr gegangen sei, weil sie ihn so angefleht habe, waren rabiate Küsse und die zweite Heulserie gefolgt. Und dann erneutes Verhör. Was sie denn den ganzen Tag getrieben hätten? Worüber sie gesprochen hätten? Hatten ihre Zimmer eine Verbindungstür gehabt? Wie war sie angezogen gewesen? Hatte sie morgens einen Bademantel getragen? Und weil er mit ja geantwortet hatte, hatte sie, an ihn geschmiegt, noch heftiger geschluchzt und geweint, und dann rasende Küsse, und sie hatte endlich gefühlt, dass er die Wahrheit gesagt hatte, dass er ihr treu geblieben war. Kurz, das Übliche, und die Arme kostete das Triumphgefühl aus, dass er ihr immer noch gehörte, und umklammerte ihn mit ihren gespreizten Beinen, und dann auf der nackten Schulter ihres Mannes wieder die sogenannten bezaubernden Liebkosungen. Verzückt hatte sie ihn angeblickt wie damals in Genf, er war wieder kostbar und interessant gewesen. Und in ihrer Genesung und wiedergefundenen Sicherheit hatte sie sich sogar das moralische Vergnügen geleistet, die Rivalin zu bedauern, die sie verdrängt hatte. Die arme kleine Betrogene. Aber er hatte sie ja um ihrer selbst willen, in ihrem eigenen Interesse betrogen, um ihr wieder das Glück der Liebe zu schenken.
Lebendig, ja, aber nur für sehr kurze Zeit. Danach hatte sich die Vanstead in Luft aufgelöst, und die Mokka- und Schokoladenkuchen waren zurückgekehrt, und die Panik am Abend nach halb elf. Also eine neue Zuflucht, der Entschluss zu einer Reise, ihre klägliche Italienrundfahrt. Monumente und Museen ohne Interesse, denn sie und er standen ja außerhalb der menschlichen Gemeinschaft. All diese vornehmen Leute, die sich für Literatur, Malerei und Bildhauerei interessieren, tun es letzten Endes ja nur, um später mit anderen darüber zu reden, um sich einen Vorrat an Eindrücken anzulegen, die sie mit den anderen, den lieben anderen teilen können. Diesen Quatsch von der Kunst, die den Vereinsamten verwehrt ist, hatte er schon hundertmal wiederholt. Das Wiederkäuen der Einsamen.
Nach Italien die Woche in
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