Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
Vom Netzwerk:
manchmal musste er sich auf die Lippe beißen, um einen Lachkrampf zu unterdrücken, und dann ließ die Priesterin in ihrem geweihten Gewand die Kiefermuskeln anschwellen, um sich in den Zustand des Begehrens zu versetzen oder sich in ihm zu wähnen. »Mein Verehrungswürdiger«, hatte sie ihm eines Tages gesagt, während sie ihn zärtlich entkleidet hatte. »Mein Schlachtopfer«, hatte er ihr innerlich geantwortet. Erbärmliche Rache.
    Sie war so geziert, die Bedauernswerte. Immer diese gewählte Sprache, selbst wenn sie nackt war. In den zärtlichen und wohlbekannten Kommentaren, die dem folgten, was sie eine Weihe nannte, musste man von Freude reden, weil das edel klang. Oh, wie peinlich für Solal, wenn sie fast streng zu ihm sagte: »Warte auf mich, wir wollen die Freude gemeinsam genießen.« Er errötete im roten Halbdunkel, und doch rührte ihn diese Sorge, einen bedeutsamen Lebensinhalt intakt zu erhalten, diese Gleichzeitigkeit, die für sie Zeichen einer noch immer lebendigen Liebe war.
    Ja, man befleißigte sich vieler höchst vornehmer Worte in Belle de Mai. So sagte man zum Beispiel »Mitte« statt eines anderen Wortes, das man für zu medizinisch hielt. Und so weiter, und er schämte sich. Schämte sich auch des Kusses auf die Stirn, den sie ihm nach obenerwähnter Freude gab, die er innerlich traurig wie »Froide« aussprach, den Akzent eines berühmten Clowns nachahmend. Damit auch absolut klar sei, was für einen großen Anteil die Seele daran gehabt habe, sagte er sich nach diesem Kuss auf die Stirn, doch gleich darauf bereute er es schon wieder und bat die Arme stumm um Verzeihung, die so gutgläubig auf Eleganz, Gefühl und Schönheit erpicht war, auf jene Schönheit, die dort aushelfen musste, wo es kein Leben mehr gab.
    Am späten Nachmittag gingen sie spazieren oder fuhren nach Cannes. Dann kehrten sie zurück. Nach dem Abendessen bei Kerzenschein, er im Smoking und sie im Abendkleid, begaben sie sich in den Salon, wo sie in dem großen Fenster das sinnlose Gekräusel des Meeres bewunderten. Wie im Royal rauchten sie teure Zigaretten und unterhielten sich über gepflegte Themen wie Musik oder Malerei oder die Schönheiten der Natur. Manchmal trat Schweigen ein. Dann machte sie Bemerkungen über die winzigen Plüschtiere, die sie in Cannes gekauft hatten, rückte sie dekorativer auf dem für sie bestimmten Tisch zurecht und warf ihnen liebevolle Blicke zu. »Unsere kleine Welt«, sagte sie und streichelte den kleinen Esel, ihr Lieblingstier. Nun ja, dachte er, man hat die Gesellschaft, die man sich leisten kann. Oder sie fragte ihn, was er am nächsten Tag gern essen würde. Darüber redeten sie ziemlich lange, denn ohne sich dessen bewusst zu sein, war sie ein Schleckermaul geworden. Oder sie setzte sich ans Klavier und sang, während er ihr zuhörte und sich mit einem vagen Lächeln über die Lächerlichkeit ihres Lebens mokierte. Oder sie sprachen über Literatur. Es war geradezu erschreckend, wie sehr sie sich für Literatur interessierten. Er genoss mit Bitterkeit das Elend ihrer Unterhaltungen. Die Kunst war ein Mittel der Kommunikation mit den anderen innerhalb der Gesellschaft, eine Verbrüderung. Auf einer einsamen Insel gab es keine Kunst mehr, keine Literatur.
    Wenn das Gespräch zufällig ein prosaisches Thema berührte, beharrte die Hüterin der Werte auf ihrer edlen Ausdrucksweise. So sagte sie »Fotografie« statt »Foto«, »Kinematographie« statt »Filmkunst«, und erst recht nicht »Kino«. Und auch ihre kleine Unterwäsche nannte sie ihre »Engelhaften«, denn »Unterhose« war ein unaussprechliches Wort. Und als sie ihm eines Tages von der Bemerkung eines Lieferanten berichtete – denn in ihrem einsamen Dasein war alles berichtenswert –, der irgendetwas »saukomisch« gefunden hatte, buchstabierte sie dieses Wort, um sich damit nicht die Lippen zu beschmutzen. Sie wird allmählich blöde, dachte er sich. Hier noch ein weiterer Beweis für dieses Vornehmgetue: Die Liste der Klingelzeichen, die zu Mariettes Erbauung in der Küche hing, hatte sie in Druckbuchstaben geschrieben, um ihre Handschrift in den Augen ihres Geliebten, sollte er wider Erwarten doch einmal in die Küche kommen, nicht zu beschmutzen.
    Abends klagte sie oft über Müdigkeit. Dann trennten sie sich früh. Komm schnell, sagte er dann zu sich selbst, schnell ins Bett, du armer Kerl, du hast es dir verdient. Und im Bett seufzte er, wieder ein Tag geschafft, ein mühsamer Tag auf dem gespannten Seil. Tja,

Weitere Kostenlose Bücher