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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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Verständnis dafür, dass die Mücke nicht anders konnte, als ihn mit ihrem kleinen cayennegepfefferten Rüssel zu stechen, bedeutete, dass er ihr verzieh, dann verzieh er auch der alten Sarles von ganzem Herzen, dieser großen Mücke seines Lebens, glänzende Virtuosin des Stechens, die niemals dem Vergnügen widerstehen konnte, ihn jeden Tag ein wenig mehr zu vergiften. Friede ihrer Seele.
    Tja, im Smoking auf der Terrasse sitzen und sich die Knöchel zerstechen lassen, und von den Farben des Meeres sprechen, und den Herrlichen spielen, und ihr warm und tief in die Augen blicken und immer neue Arten finden, ihr zu sagen, dass er sie liebte. Dabei liebte er sie wirklich. Keine Frau war ihm je so nah gewesen. All die anderen, Adrienne, Aude, Isolde und die flüchtigen Geliebten, er hatte sich immer irgendwie getrennt von ihnen gefühlt. Fremde, die er wie durch eine Glaswand gesehen hatte. Sie hatten sich bewegt, und manchmal hatte er bemerkt, dass sie wirklich existierten, ganz wie er, und daher fragte er sich, mit welcher Berechtigung diese Frau sich solche Mühe für ihn gab. Doch Ariane war ihm so nah, so lieb, so naiv. Er liebte es, sie verstohlen zu betrachten, und bemühte sich, ihr seine Zärtlichkeit zu verbergen, diese Leidenschaftsbeleidigung. Wie oft hatte er sein Verlangen unterdrücken müssen, sie in die Arme zu nehmen und sie heftig auf die Wangen zu küssen, zwanzigmal auf die Wangen, nur auf die Wangen. Alles an ihr war bezaubernd, selbst wenn sie idiotisch war. Bezaubernd ihre naive, mit Blümchen verzierte Menükarte von vorgestern, bezaubernd ihr kläglicher dekorierter und entsetzlich versalzener Hummer, von dem er sich zweimal genommen hatte, um sie zu beruhigen.
    Diese Frau, die er immer mehr zärtlich liebte und immer weniger begehrte und die so großen Wert darauf legte, begehrt zu werden, die sich wahrscheinlich einbildete, ein Recht darauf zu haben, was an sich schon lästig genug war, o ihre eintönigen Vereinigungen, immer die gleichen. In Cannes, am letzten Abend seines Tricks mit der Vanstead, diese dänische Krankenschwester, die er wegen eines simulierten Unwohlseins ins Carlton hatte rufen lassen, diese Krankenschwester, die ihm nichts bedeutete, deren Vornamen er nicht einmal kannte und mit der die Lust überwältigend gewesen war. Kein Wort war gewechselt worden. Die absolute Lust im Schweigen, nur ihr Stöhnen. Um Mitternacht hatte sich die eben noch Stumme wieder angezogen, gestärkter abknöpfbarer Kragen und gestärkte Manschetten, ihn mit ihren blauen Augen ganz ohne Vorwurf angeblickt und ihn gefragt, ob sie morgen zur gleichen Zeit wiederkommen solle. Auf seine verneinende Antwort hin war sie fortgegangen, ohne ein Lächeln oder einen anzüglichen Blick, wie eine anständige Krankenschwester mit flachen Absätzen und weißer Haube auf dem flachsblonden Haar.
    Beim zweiten Gongschlag zuckte er zusammen. Verflixt, er hatte ganz vergessen, sich anzuziehen. Schnell in das völlig überflüssige Dinnerjackett geschlüpft, auf dem sie bestand, so wie sie auch darauf bestand, im großen Abendkleid wie eine Opernsängerin zu erscheinen. »Hoffentlich gibt sie mir kein Magenknurrkonzert«, murmelte er und schämte sich, sich solcherart an ihrem Leben zu rächen.

***

    Nach dem Abendessen auf der Terrasse setzten sie sich in den Salon. Vor dem großen offenen Fenster, sie im ironisch dekolletierten Kleid und er im weißen Smoking, betrachteten sie, ohne es sich anmerken zu lassen, das faszinierende Schauspiel der ausgelassenen Bande der Nachbarn, die mampfend, diskutierend und fröhliche Zurufe austauschend um den langen Tisch saß. Sie jedoch rauchten edel und schweigend exquisite Zigaretten in ihrem prächtigen und mit Blumen geschmückten Salon, einsam und schön, unbeachtet und elegant. Als drüben der Beamte des Conseil d’État, einen Damenhut auf dem Kopf, ins Zimmer trat, wurde gejohlt und Beifall geklatscht. Worauf sie sagte, sie habe eine neue Teemarke ohne Tein gekauft, die einen nicht am Schlafen hindere. Das sind also die Neuigkeiten, die wir uns mitzuteilen haben, dachte er.
    »Vielleicht könnten wir ihn nachher probieren«, sagte sie. »Aber ich glaube nicht, dass er so gut ist wie der normale Tee. Ach, das hätte ich beinahe vergessen«, sagte sie nach einer Pause. »In den alten Papieren, die Mariette mir aus Genf mitgebracht hat, habe ich heute früh ein Foto von mir als Dreizehnjähriger gefunden. Soll ich es Ihnen zeigen?«
    Als sie aus ihrem Zimmer zurückkam,

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