Die Schöne des Herrn (German Edition)
seines Geldes durch eine Operation des Geistes, die der letzte Trost ist. Nein, kein Mut mehr zum Spekulieren. Dabei hatte er nach dem Fiasko durchaus Mut gehabt. Ja, Liebste, den Mut, um Protektion zu betteln. Delarue, den er aus dem Dreck gezogen hatte, als er ein elender kleiner Journalist gewesen war, den er zu seinem Kabinettschef im Arbeitsministerium gemacht hatte, war jetzt Generalinspektor. Der gönnerhafte Ton des ehemaligen Untergebenen. »Tja, mein Lieber, ein Ausbürgerungsdekret kann man nicht so ohne weiteres rückgängig machen.« Nach seiner Weigerung, für ihn zu intervenieren, hatte er dem unrasierten Pechvogel einen Whisky offeriert und ihm von seiner so interessanten Tätigkeit als Regierungsdelegierter beim Internationalen Arbeitsamt erzählt. Und die anderen ehemaligen Freunde noch schlimmer. Alle hatten sie ihn stehend im Vestibül empfangen. Informiert über den Skandal. Informiert über seine Entlassung. Informiert über seine Ausbürgerung. Immer die gleichen Phrasen. »Ich bin nicht berechtigt, in diesem Fall zu intervenieren. Keine neuen Fakten, die eine Annullierung des Ausbürgerungsdekrets rechtfertigen. Was wollen Sie, mein Lieber, schließlich ist es Ihre eigene Schuld.« Manche hatten sich sogar ein Vergnügen daraus gemacht, ihn zu bedauern, während sie ihn sanft zur Tür geschoben hatten. »Tut mir furchtbar leid, mein armer Freund, das ist natürlich sehr traurig.« Und in den Blicken aller Misstrauen, Feindseligkeit, Angst. Die Menschen mögen das Unglück nicht.
Er hat es sich in der Wärme seines Bettes bequem gemacht. Er lächelt, um gegen sein Unglück anzukämpfen. Seine nackten Füße reiben sich zärtlich an den Laken, genießen die Feinheit des Stoffes, lieben sie. Wenigstens das ist ihm geblieben, die behagliche Wärme und der Komfort, die das Geld einem bietet. Vorgestern das zweite Vorsprechen in der Rue de l’Université. Die schriftlich am Vorabend vorbereitete Rede, die auswendig gelernten Argumente, die er vor dem Spiegel geübt hatte. Die Hoffnung, dass sein Vieltagebart dem Albino Mitleid einflößen könnte. Nach stundenlangem Warten auf einer Bank, das ihm Gelegenheit geboten hatte, seine bewegende Rede zu proben, war er empfangen worden. Der Ärger des Kerls, dem die Hartnäckigkeit dieses Verrückten auf die Nerven gegangen war. »Leute wie euch schickt man zur Tür hinaus, und ihr kommt durch das Fenster wieder herein.« »Leute wie euch«, man weiß, wer damit gemeint ist. Und obendrein das Vergnügen, einen ehemaligen Minister, einen Wehrlosen, zu demütigen. »Nehmen Sie sich doch einen ständigen Wohnsitz in Frankreich und reichen Sie nach Ablauf der gesetzlichen Frist ein neues Gesuch ein, wenn Sie so großen Wert darauf legen, Franzose zu sein.« Die Grausamkeit dieses »wenn Sie so großen Wert darauf legen«, die Grausamkeit des Gutsituierten, die Ironie des Satten, der sich wundert, dass man Hunger haben kann.
Mit lauter Stimme ahmte er den Sprachfehler des Albinos nach. »Wenn Schie scho groschen Wert darauf legen, Frantschosche tschu schein.« Der Spott des Schwachen, jämmerliche Rache. Das Unglück macht gemein und dumm. War es nicht Dummheit, seine Rede vorbereitet zu haben und ihm mit seinem Bart Mitleid einflößen zu wollen? Von seiner Einsamkeit hatte er gesprochen, von seinem Bedürfnis, ein Vaterland zu haben, und der Kerl hatte ihm geantwortet, ständiger Wohnsitz und gesetzliche Frist, und dabei hatte er die eingerahmten Fotos seiner beiden hübsch frisierten Kinder und seiner Ehefrau angeschaut, die er überall vorzeigen konnte und die ihm sicher eine gute Mitgift eingebracht hatte. O die Gleichgültigkeit der Glücklichen. O dieser selbstzufriedene Blick des Etablierten auf die Fotos, dieser Blick voller Sicherheit auf dieses Zeichen einer geregelten Existenz. Ein Mistkerl mit gutem Gewissen, der es sich auf seiner gesellschaftlichen Gänsestopfleber bequem gemacht hat. Nicht intelligent, aber schlau. Er dagegen intelligent, aber nicht schlau. Und dann war der Kerl aufgestanden und hatte gesagt, er habe noch andere Leute zu empfangen.
Er lächelt seinem Schicksal zu. Früher hatte seine Intelligenz ihm zum Erfolg verholfen. Abgeordneter, Minister und so weiter. Ein prekärer Erfolg, weil nur auf Intelligenz gegründet. Der Erfolg eines Seiltänzers ohne Netz. Ohne Verbindungen, Verwandtschaften, ererbte Freundschaften, Kinder- und Jugendfreundschaften und all jene natürlichen Protektionen, welche die echte Zugehörigkeit zu
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