Die Schöne des Herrn (German Edition)
er seelenruhig seine Hörnchen mit viel Butter und Marmelade. Schade, dass der originale Marmeladentopf mit dem schottischen Offizier auf dem Etikett nicht dabei ist. Es ist doch interessant, beim Essen das Etikett zu betrachten, das leistet einem Gesellschaft.
Nachdem sein kleines Glück beendet ist, steht er auf. Wo ist der Schlüssel? Er sucht da und dort und macht die Geste des Schlüsselumdrehens, um sich das Suchen zu erleichtern. Als er ihn endlich unter dem Kopfkissen gefunden hat, öffnet er die Tür einen Spalt. Er betrachtet die Schuhe, die auf dem Flur vor den anderen Türen stehen. Die Füße der Glücklichen sind seine Beziehungen. Letzte Nacht um zwei diese idiotische Versuchung, sich ein paar davon auszuleihen und sie auf sein Bett zu stellen. Er beugt sich hinunter, um sie besser sehen zu können. Wie glücklich sie sind, all diese blankpolierten, schön ausgerichteten, selbstsicheren Schuhe. Ja, genau, selbstsicher. Ihre Herren sind im Hotel mit einen Lebenszweck. Bei ihm ist es das Gegenteil.
Schritte. Er schließt schnell die Tür und dreht den Schlüssel im Schloss. Man klopft. Es ist der Hausdiener, der fragt, ob er das Zimmer machen könne. »Nein, später.« In der zurückgekehrten Stille deutet er vor dem Spiegelschrank einen Tanzschritt an und schnippt auf spanische Art mit den Fingern. Was macht es ihm schon aus, nicht glücklich zu sein. Die Glücklichen sterben ja auch. Nachdem er sich vergewissert hat, dass niemand im Flur ist, stellt er schnell das Tablett vor die Tür, hängt schnell das Schild »Bitte nicht stören« an die Klinke, dreht schnell den Schlüssel zweimal um und streckt die Zunge heraus. Gerettet!
Nachdem er sorgfältig das Bett gemacht hat, räumt er das Zimmer auf und wischt Staub mit einem Frotteetuch. »Wir pflegen unser kleines Ghetto, unser kleines Ghetto muss hübsch und sauber sein«, sagt er ganz leise, wie im Vertrauen. Er verrückt zwei Sessel, die zu nah beieinander stehen, schließt die Bücher weg, die unordentlich wirken, legt die Zigarettenschachteln symmetrisch auf den Tisch und stellt den Aschenbecher genau in die Mitte. »Ja«, sagt er lächelnd, »im Ghetto ist man ordnungsbesessen, um sich einbilden zu können, dass alles gut geht, um das Glück zu ersetzen.« Er murmelt, »das, meine Herren, sind die Zerstreuungen der Einsamen«, singt
»plaisir d’amour ne dure qu’un moment«
, singt es absichtlich mit weibischer Falsettstimme, um sich die Zeit zu vertreiben und sich eine Vorstellung zu geben, singt es gefühlvoll, um das Lied mit brachliegender Liebe zu füllen. Oh, Staub auf dem Nachttisch! Rasch fährt er mit dem Frotteetuch über die Marmorplatte und schüttelt es am Fenster aus. Diese kleinen Menschlein da unten, so in Eile, alle mit einem Ziel, alle unterwegs zu ihresgleichen. Er lässt den Rollladen herunter, um sie auszusperren. Er zieht die Vorhänge zu, um nicht zu wissen, dass es ein Draußen gibt mit Hoffnungen und Erfolgen. Ja, früher ging er hinaus, um zu siegen, um zu bezaubern, um geliebt zu werden. Er hat einmal dazugehört.
Er geht im Halbdunkel umher, reißt sich von Zeit zu Zeit ein Haar aus und runzelt die Brauen. Verbannt, ausgeschlossen. Die einzige Tätigkeit, die ihm draußen noch bleibt, ist der Handel, Geldgeschäfte, wie seine Vorväter im Mittelalter. Morgen einen Laden aufmachen und sich als Pfandleiher niederlassen, und über der Ladentür ein kupfernes Schild. Auf dem Kupferschild schön eingraviert »Zum edlen Wucherer«. Nein, in diesem George V verkrochen bleiben, sich mit einem bequemen Leben trösten. Hier in diesem Zimmer hat er das Recht zu tun, was er will, Hebräisch zu sprechen, Ronsard zu rezitieren, zu schreien, er sei ein Ungeheuer mit zwei Köpfen, ein Ungeheuer mit zwei Herzen, er sei die ganze jüdische Nation, die ganze französische Nation. Hier wird er sich, ganz allein, den erhabenen Seidenschal der Synagoge um die Schultern legen und sich sogar, wenn ihm danach ist, eine blauweißrote Kokarde auf die Stirn kleben können. Hier, verkrochen und einsam, wird er nicht die argwöhnischen Blicke jener sehen, die er liebt und die ihn nicht lieben. Jeden Tag in die Synagoge gehen? Was hat er gemein mit diesen anständigen Gebetsmurmlern mit der Melone auf dem Kopf, die ungeduldig auf das Ende des Gottesdienstes warten, ihre kleinen kaufmännischen oder mondänen Interessen nicht aus den Augen lassen, den Rand ihres Hutes berühren, wenn eine einflussreiche Persönlichkeit vorbeikommt, und bei
Weitere Kostenlose Bücher