Die Schöne des Herrn (German Edition)
der Bar-Mizwa, während sie die Propheten lesen, tief gerührt auf ihr Söhnchen blicken, das wie ein kleiner Herr gekleidet ist, eine winzige Melone auf dem Kopf. Und plötzlich erschaudert er vor dem Ewigen und rezitiert die achtzehn Segnungen des Sabbatgottesdienstes.
»Wir beide haben uns gern«, sagt er lächelnd zum Spiegel und untersucht noch einmal das Türschloss. Ja, abgeschlossen. Um ganz sicher zu sein, schiebt er auch den Riegel vor, drückt auf die Klinke und versucht die Tür zu öffnen. Sie leistet Widerstand. Er ist also geschützt, in Sicherheit. »Jetzt sind wir unter uns«, sagt er, legt sich in das warme, verschwitzte Bett und lächelt, um das Schicksal zu beschwören, und außerdem hängt ja draußen das Schild, das ihn schützt. Er zieht die Bettdecke über sich, bewegt die nackten Füße hin und her, um die Weichheit der Laken zu spüren, und lächelt erneut. Die Betten sind nicht antisemitisch.
Er knipst die Nachttischlampe an, schaut wieder in
Le Temps
, Fenster zum Leben, von dem er ausgeschlossen ist, und übergeht geflissentlich die Gesellschaftsspalten mit den diplomatischen Empfängen. Doch auf jeder Seite begegnet sein Blick Ministern, Generälen, Botschaftern. Es gibt zu viele Botschafter, sie sind überall. Eine Veronal-Tablette, um diese Schlaumeier verschwinden zu lassen, vorausschauende Lakaien und ehemalige Kabinettschefs, die den naiven Außenministern schmeicheln. Er lächelt, als er sich erinnert, dass Eisenbeißer genau das Gleiche über die in den Zeitungsspalten angetroffenen Botschafter gesagt hat. Nun, in dreißig Jahren werden all diese Schlaumeier Tote sein. Ja, aber inzwischen sind sie glücklich, dynamisch, beschäftigt mit ihren ach so wichtigen Nutzlosigkeiten, telefonieren, befehlen, tun Dinge, die keine Folgen haben, vergessen, dass sie sterben werden.
Er schließt die Augen, versucht zu schlafen. Das gestrige Telegramm hat sie beruhigen müssen. Nichts als Lügen, dass er seine Angelegenheiten in Kürze geregelt haben werde, dass er bald zurückkomme. Er beugt sich über den Nachttisch, zieht die Schublade auf, nimmt den versiegelten Umschlag heraus, schaut ihn an, schließt ihn wieder ein. Er findet keinen Schlaf, das Veronal hat nicht gewirkt. Er steht auf, inspiziert das Zimmer. Fingerspuren auf dem Spiegel des Schranks. Er wischt sie mit einem Taschentuch fort. Nicht sehr schön, dieses ungemachte Bett. Wir werden es gründlich machen, es unter Juden machen, mit Liebe. Die Laken und die Decken schön glattziehen, die Ränder schön unter die Matratze stopfen und die Tagesdecke schön gerade und glatt.
Nachdem er das Bett gemacht hat, sucht er im Spiegel über dem Waschtisch Rat. Vor seinem bärtigen Gesicht wird er unsicher, lächelt, um auf fröhliche Gedanken zu kommen, die sich aber nicht einstellen. Er seift sich lange die Hände ein, um sich die Zeit zu vertreiben, um sich durch eine kleine normale Handlung an ein bisschen Hoffnung zu klammern. Dann besprenkelt er sich mit nach Amber duftendem Kölnisch-Wasser, um wieder am Leben Geschmack zu finden, um Mut zu schöpfen. Der arme Deume. Es geschieht mir recht, dass auch ich leide. Mit einem Taschenmesser schabt er sich die Hornhaut von der Fußsohle, schabt behutsam und freut sich über den weißen Staub, der abfällt und ein kleines Häufchen bildet. Ungenügende Zerstreuung. Lieber ausgehen, durch die Straßen wandern. Ja, schaffen wir uns ein Minimum an gesellschaftlichem Leben. Er grinst, um zu zweit zu sein.
Nachdem er sich angezogen hat, sagt er sich im Spiegel auf Wiedersehen. Schrecklich, dieser Sträflingsbart. Er ist nicht in Stimmung, sich zu rasieren. Schließlich kann man ihn nicht verhaften, weil er einen Bart trägt. Und außerdem ist sein Anzug aus der Savile Row, das macht den Bart wieder wett. Er öffnet die Tür, schließt sie jedoch sofort wieder. Was werden der Hausdiener und das Zimmermädchen sagen, wenn sie das gemachte Bett sehen? Ja keinen schlechten Eindruck machen. Er zerwühlt das Bett in aller Eile, öffnet die Tür einen Spalt und späht hinaus. Niemand auf dem Flur. Er geht schnell hinaus, ein Taschentuch vor dem Mund, als hätte er Zahnschmerzen, den Filzhut tief in die Stirn gezogen, um die verdammten schönen verräterischen Augen zu verbergen. Nach dem Fahrstuhl klingeln? Nein, im Fahrstuhl sehen sie einen noch neugieriger an, weil sie sich langweilen und nach einem Zeitvertreib suchen. Die Treppe ist weniger riskant. Er geht schnell hinunter, versteckt die
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