Die Schöne des Herrn (German Edition)
er seine Stimme in die seiner ehemaligen Landsleute. Als die Hymne beendet und der Radioapparat ausgeschaltet ist, ist er allein und Jude in einem Zimmer mit heruntergelassenen Rollläden, bei elektrischem Licht, trotz der hellen Sonne draußen.
Um sein Leben nicht mehr zu sehen, legt er sich wieder ins Bett und blättert in einem Erfolgsroman, der von einer Frau geschrieben worden ist und dessen Heldin, ein Flittchen aus dem Bürgerstand, sich langweilt, sich zum Zeitvertreib durch die Betten schläft und, nachdem sie zwischen zwei Whiskys ohne große Leidenschaft zuerst mit diesem und dann mit jenem, der vielleicht die Syphilis hat, geschlafen hat, mit 130 Stundenkilometern durch die Gegend rast, um sich die Zeit zu vertreiben. Er schleudert den schmutzigen kleinen Schmöker in die Ecke.
Im Radio ein protestantischer Gottesdienst. Mit trauriger Kehle lauscht er dem Gesang der Gläubigen. O diese Stimmen voller Zuversicht und Hoffnung, sanfte und gütige Stimmen, gütig wenigstens zu dieser Stunde. Er steht auf, kniet sich vor den Apparat, kniet nieder, um dazuzugehören, um mit den Brüdern zu sein. Er schluchzt aus voller Kehle, atmet schwer, weiß, wie grotesk er ist, ein einsamer Fremder, wie grotesk er ist, weil er mit ihnen ihre Kirchenlieder singt, grotesk, weil er mit denen singt, die ihn gar nicht wollen, die ihm misstrauen. Aber er singt mit ihnen das schöne christliche Lied, o das Glück, mit ihnen zu singen, zu singen, ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen, das Glück, sich zu bekreuzigen, um zu ihnen zu gehören, um sie zu lieben und von ihnen geliebt zu werden, das Glück, mit Brüdern die heiligen Worte zu sprechen. Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit, Amen. »Empfangt den heiligen Segen Gottes«, sagt der Pastor jetzt. Darauf neigt er den Kopf, um den Segen zu empfangen, wie sie, mit ihnen. Dann steht er auf, allein und Jude, und erinnert sich der Wände.
Und er nimmt wieder seine Pappnase und grinst. Warum nicht den Wänden der Straßen eine Freude machen? Verdammte Vitalität, idiotische Lust zu leben. Jerusalem oder Rachel? Vorläufig erst einmal die Schokoladentrüffeln, schnell. »Jetzt werdet ihr gegessen, meine Kleinen«, sagt er zu ihnen. »Entschuldigt, ich hatte euch vergessen.« Er betrachtet sich im Spiegel, während er sie kaut, sie mit kleiner Freude zerkaut. Doch als keine Trüffeln mehr da sind, ist das Unglück immer noch da.
Tod den Juden Seine Pappnase stört ihn, er erstickt vor Einsamkeit in diesem Geruch von Klebstoff und Keller, doch nein, sie aufbehalten, diese falsche Nase, seine Ehre. Gehetzt, den Gehetzten spielend, irren Blicks ist er plötzlich ein französischer Hauptmann, den diejenigen der Wände auf die Teufelsinsel schicken werden, er steht stramm, das Bataillon hinter ihm, vor ihm der rächende Feldwebel mit dem langen Schnurrbart, nach Knoblauch stinkend, der ihm die Tressen von der Uniformjacke reißt und sein Schwert zerbricht. Er blickt in den Spiegel und schreit mit einer Stimme, der seine Karnevalsnase einen näselnden Klang verleiht, dass er unschuldig ist, dass er sein Vaterland nicht verraten hat. »Es lebe Frankreich!«, schreit er.
Diese Blumen dem Unbekannten Soldaten unter dem Arc de Triomphe bringen? Sie werden ihn auslachen. In ihrem Brief hat sie ihm geschrieben, er solle den Umschlag nur öffnen, wenn er allein sei. Natürlich allein, was denn sonst? Ja, es ist entschieden, er wird ihn öffnen, es sich ansehen. Dieses schmutzige Glück steht ihm zu. Ein paar Minuten wird er sein Schicksal vergessen. Was in diesem Umschlag steckt, ist immerhin Leben, ein nur ihm gewährtes Privileg. Ein Leprakranker, ja, aber nur wenige Glückliche haben eine so schöne, so liebende Frau. Aus Liebe, um ihn nicht zu verlieren, hat sie es gewagt, hat sie in der Erniedrigung der Einsamkeit gewagt, hat sie, diese Tochter der Tugend, gewagt, sich für ihn mit unanständigen Fotos zu entwürdigen. Schön, wunderbar, jetzt hat er ein Ziel im Leben, sich die unanständigen Fotos ansehen, sie eins nach dem anderen lieben, sorgfältig, sie begehrenswert finden, und zum Teufel mit dem Deuteronomium. Ja, meine Liebste, entwürdigen wir uns gemeinsam.
Nicht sofort öffnen. Zuerst eine gute Mahlzeit bestellen. Ja. Das Unglück erniedrigt, und das ist eine Rache am Unglück. Ja, eine ausgezeichnete Mahlzeit, mit Champagner. Die Köche werden sich alle Mühe für ihn geben. Die unanständigen Fotos können warten.
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