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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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Ihr Gesäß hob und senkte sich im Rhythmus des Schluchzens. Er ging zu ihr.

C

    Er hatte seinen Koffer auf eine Bank gestellt, ging auf dem Bahnsteig auf und ab, blieb vor dem Automaten stehen, steckte Münzen hinein, zog an den Griffen, sah kleine Päckchen fallen, pfiff vor sich hin und wanderte erneut auf und ab, den Blick zum Himmel gerichtet. Um elf Uhr begann er unruhig zu werden. Würde sie ihm das antun: nicht kommen und ihn am Abreisen hindern? Der Zug nach Marseille würde in acht Minuten einfahren, falls er keine Verspätung hatte. Endlich ein Auto, das er erkannte, es war das andere Taxi aus Agay. Sie stieg aus, den Koffer in der Hand. Ihre Blicke trafen sich, doch beiden gelang es, ihre nervöse Lachlust zu unterdrücken, eine ganz automatische Lachlust ohne jede Fröhlichkeit.
    »Du fährst also auch fort?«, fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen, den Blick gesenkt.
    »Ich fahre auch fort.«
    »Und wohin fährst du?«
    »Dorthin, wo du nicht hinfährst. Wo fährst du hin?«
    »Nach Marseille«, sagte er, den Blick immer noch gesenkt, um nicht lachen zu müssen.
    »Dann werde ich den nächsten Zug nehmen.«
    »Hast du alles abgeschlossen? Den Gashahn abgedreht?«
    Sie zuckte die Schultern, um ihm zu bedeuten, dass sie sich nicht mit derartigen Kleinigkeiten abgab, und setzte sich auf die andere Bank. Zwei Meter voneinander entfernt, jeder mit seinem Koffer, ignorierten sie sich. Um elf Uhr fünf erhob er sich, ging zum Fahrkartenschalter, verlangte zweimal erster Klasse nach Marseille, kehrte auf den Bahnsteig zurück, blieb stehen, den Koffer in der Hand, und vermied es, sie anzusehen. Endlich fuhr die Lokomotive indigniert in den Bahnhof ein, schnaufte ein letztes Mal, und die Waggons spuckten kleine Reisende aus. Er stieg ein und warf einen verstohlenen Blick zur Seite. Wenn sie ihm nicht folgte, würde er im letzten Augenblick auf den Bahnsteig springen.
    »Was machst du denn hier?«, fragte er sie, als sie in sein Abteil trat.
    »Ich verreise.«
    »Du hast ja nicht einmal eine Fahrkarte.«
    »Ich werde sie beim Schaffner kaufen.«
    »Dann setz dich wenigstens in ein anderes Abteil.«
    »Hier ist doch Platz.«
    Eine Glocke ertönte, der Zug stöhnte, protestierte, schnaubte, zischte, quietschte, stieß zurück, schüttelte sich, fuhr langsam an, raffte sich endlich auf und stürmte brüllend und pfeifend davon, während die aneinandergeketteten geschundenen Wagen mit ihren besessen rollenden Rädern den Takt schlugen. Als sie aufstand, ließ er sie allein ihren Koffer ins Gepäcknetz wuchten und beobachtete belustigt ihre Unbeholfenheit. Soll sie doch sehen, wie sie allein zurechtkommt. Endlich war der Koffer verstaut, und sie setzte sich ihm gegenüber. Beide hielten den Blick gesenkt, denn sie wussten, dass sie, sobald sie sich mit diesen ernsthaften Mienen ansahen, unwillkürlich würden lächeln und dann lachen müssen und ihr Gesicht verlieren würden.
    Auf dem schaukelnden Gang gingen, sich anrempelnd und diskret lachend, Engländer vorbei, gefolgt von kakophonischen amerikanischen Kindern, sich männlich gebende, Kaugummi kauende buntscheckige Knirpse, wichtigtuerisch und schon ganz die näselnden Herren der Welt, gefolgt von ihren schlaksigen Schwestern in schottengemusterten Socken, sexuell und bereits geschminkt und sich ebenfalls mittels postnasalen Vibrierens ausdrückend, Triumphe der Vulgarität, Kaugummiwiederkäuerinnen, künftige Majoretten.
    Die beiden ignorierten sich weiter, während sich draußen in großer Hast krumme Bäume abzeichneten, Telegrafenmasten in Gegenrichtung vorbeiflitzten, sich plötzlich neigend und wieder aufrichtend, die Glocke einer Dorfkirche erklang, ein Hund mit komischer Anstrengung und heraushängender Zunge einen grünen Berghang hinaufrannte, der Zug plötzlich ins Torkeln geriet und erschrocken aufschrie, der Schotter zwischen den Schienen glitzerte, eine einzelne Lokomotive mit obszönem Schnaufen an ihnen vorbeifuhr, ein Schrankenwärter sich wie eine Gliederpuppe gebärdete, und eine weiße Spielzeugjacht in der Ferne das seidige Blau des Mittelmeers durchschnitt.
    Drei knospende junge Mädchen traten ein. Nach anfänglichem nervösem Gekicher, denn sie fanden, dass dieser Herr fabelhaft aussah, gackerten sie drauflos und bedienten sich starker Worte, um sich eine besondere Note zu geben und originell zu wirken und ihm zu gefallen. Eine nannte einen Sänger sensationell, eine andere sprach von ihrer phantastischen Erkältung der letzten Woche,

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