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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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Schachtel und nahm eine Kerze heraus.) Sie ist ziemlich dick«, sagte sie, »ich frage mich, ob sie hineingeht.«
    Er richtete sich auf, wie ein aufgeschreckter Leopard. O diese so reine Hand, die an der Kerze herumdrückte! O dieses furchtbare engelhafte Lächeln!
    »Bitte lass die Kerze«, sagte er, den Blick gesenkt. »Keine Kerzen, ich will keine Kerzen, ich mag sie nicht. Leg sie weg, ich bitte dich. Danke. Hör mal, ich möchte dir noch eine Frage stellen, eine einzige, und sie ist gar nicht peinlich. Ich verspreche dir, mich nicht aufzuregen, wenn du mir antwortest. Hast du abends einen Koffer mitgenommen, wenn du die Nacht … (Er beendete den Satz nicht. Die Nacht mit Dietsch verbracht hast, brachte er nicht über die Lippen.) Einen Koffer am Abend?«
    »Ja«, sagte sie zitternd, und er blickte gequält zu ihr auf, ein kranker Hund plötzlich.
    »Klein dieser Koffer?«
    »Ja.«
    »Natürlich. Klein.«
    Er sah den schrecklichen Inhalt des Koffers. Ein sehr hübscher seidener Pyjama oder vielleicht sogar ein durchsichtiges Nachthemd, das ja ohnehin nur zum Ausziehen da war. Kamm, Zahnbürste, Cremes, Puder, Zahnpasta, die ganze Ausstattung für das morgendliche Erwachen, das glückliche Erwachen. O die Küsse beim Erwachen. Diese Boygne, das alte Scheusal! Und bestimmt hatte sie irgendein Buch mitgenommen, das ihr gefallen hatte und aus dem sie dem Kerl nach der Bettgymnastik vorzulesen gedachte. Es war ja ihre Art, mit anderen teilen zu wollen. Und außerdem hatte dieses vornehme Vorlesen eine beruhigende Wirkung auf ihr Gewissen, adelte irgendwie den gemeinen Ehebruch. Hatte sie Serge zu ihm gesagt? Auf jeden Fall Liebling, wie zu ihm, Geliebter, wie zu ihm, und die gleichen geheimen Worte im Dunkel der Nacht. Vielleicht hatte sie sie sogar von diesem Kerl gelernt. Und vielleicht hatte sie in diesem Koffer auch eine Schachtel mit Cachoubonbons gegen Mundgeruch gehabt, um den Eindruck eines immer frischen und wohlriechenden Atems zu erwecken. Und von Zeit zu Zeit, zwischen zwei gewaltigen Küssen, hatte sie heimlich still und leise rasch ein Cachoubonbon genommen und es sich rasch ganz hinten links in die Wange geschoben, über den Weisheitszahn, um jede Begegnung mit der Dirigentenzunge zu vermeiden.
    »Hast du eine oder mehrere auf einmal in den Mund genommen?«
    »Wovon?«
    »Cachoubonbons.«
    »Ich habe nie Cachoubonbons genommen«, seufzte sie. »Hör zu, lass uns essen. Oder gehen wir aus, wenn es dir lieber ist.«
    »Noch eine letzte Frage, und dann verspreche ich, dich in Ruhe zu lassen. Wenn du zu ihm gekommen ist, hast du dich da gleich ausgezogen? (Sein Blutdruck stieg sofort. Sie schamloser oder, schlimmer noch, schamhafter Striptease, und Dietsch bereits mit Ständer vor lauter Geilheit!) Antworte mir, Liebling. Du siehst, ich bin ganz ruhig, ich halte deine Hand. Es ist wirklich alles, was ich wissen will: Hast du dich sofort ausgezogen, wenn du zu ihm gekommen bist?«
    »Aber nein, wo denkst du hin!«
    O die Abscheulichkeit dieses »wo denkst du hin«! Mit diesem »wo denkst du hin« wollte sie sagen, ich bin zu rein, um mich gleich auszuziehen, das schickt sich nicht, dazu braucht man Steigerungen, ein seraphischer Striptease mit erhabenen Blicken und einer starken Dosis Seele. Natürlich, der ganzen idealistischen Unanständigkeiten ihrer Klasse. Sie brauchte gefühlvolle Übergänge, Schlagsahne, Sahne, die die Schweinshaxe zudeckte! Heuchlerin, dabei war sie doch nur zu ihm gegangen, um sich auszuziehen!
    Schluss, Schluss, nicht mehr denken, vor allem nicht mehr sehen. Erbarmen mit dieser Unglücklichen, leichenblass, mit zitternden Knien, die mit gesenktem Kopf auf den Urteilsspruch wartete und nicht wagte, ihn anzusehen. Daran denken, dass sie eines Tages sterben wird. An jenen Regentag in Belle de Mai denken, als er sie gefragt hatte, ob von irgendeiner Süßigkeit noch etwas im Haus sei, und sie, um sie zu besorgen, im strömenden Regen nach Saint-Raphaël gegangen war, zu Fuß, weil es keinen Zug und kein Taxi gegeben hatte. Elf Kilometer hin und elf zurück, insgesamt ein Marsch von sechs Stunden. Und er hatte nichts davon gewusst, weil er schlafen gegangen war. Und als er aufgewacht war, ihr Zettel. »Ich kann es nicht ertragen, dass Sie nicht haben, wonach Sie gelüstet.« Ja, Halva war es gewesen. In welchem Zustand war sie am Abend heimgekehrt, und da erst hatte er erfahren, dass sie den ganzen Weg zu Fuß zurückgelegt hatte. Ja, aber gerade das war ja das Schreckliche, eine

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